Foto: Piechowski

Der Inhalt der Volksabstimmung lässt viele Bürger ratlos zurück, sagt Jan Sellner.

Stuttgart - Waren das Zeiten, als man beim Wählen ein Kreuzchen hinter den Namen einer Partei machte und fertig. Zugegeben, auch bei der Volksabstimmung am 27. November müssen die Bürger lediglich ein Kreuzchen machen - aber hinter welcher Fragestellung bitte! Auf dem amtlichen Stimmzettel wird den Bürgern das Satzungetüm begegnen: "Stimmen Sie der Gesetzesvorlage ,Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S-21-Kündigungsgesetz)' zu?" Ja oder Nein. Dazu muss man wissen, dass ein Ja auf dem Stimmzettel ein Nein zu Stuttgart 21 bedeutet und umgekehrt. Die Welt ist kompliziert geworden, keine Frage. Aber so kompliziert?

Dass die 7,5 Millionen wahlberechtigten Baden-Württemberger bei der ersten Volksabstimmung in der Geschichte des Landes aufgerufen sind, über Kauderwelsch abzustimmen, ist nicht den Befürwortern von mehr direkter Demokratie anzukreiden. Der Grund liegt vielmehr darin, dass ein weit fortgeschrittenes, jedoch anhaltend umstrittenes Vorhaben nochmals zur Diskussion gestellt wird. Abgestimmt wird dabei nicht etwa über Stuttgart 21 als Ganzes, sondern lediglich über den Finanzierungsanteil des Landes an dem Projekt. Und weil ein solcher Ausstieg juristisch fragwürdig ist, sieht der amtliche Stimmzettel aus, wie er aussieht: unverständlich! Das ist der Preis, den die grün-rote Landesregierung dafür bezahlt, dass ihr grüner Teil ein demokratisch beschlossenes Vorhaben rückabwickeln will, während sich ihr roter Teil von einer Volksabstimmung befriedende Wirkung verspricht.

Angesichts der verqueren Ausgangslage kann man sich über den ersten Volksentscheid in der Landesgeschichte nicht wirklich freuen. Die Abstimmung über eine Frage, die keiner versteht, ist weder ein Ausweis von Transparenz noch geeignet, Beteiligung zu befördern. Dass Baden-Württemberg bei diesem Thema Nachholbedarf hat, steht auf einem anderen Blatt. Die Hürden für ein direktes Mitentscheiden der Bürger sind eindeutig zu hoch. Sie müssen gesenkt werden. Richtig ist auch: Erst die S-21-Debatte hat dieses Defizit deutlich gemacht. Mehr Bürgerbeteiligung tut dem Land gut. Doch es gilt wie für alle Politik: Der Inhalt muss nachvollziehbar sein.