Eine Stimme pro Baby? Foto: dpa


Die Idee eines Kinderwahlrechts ist undemokratisch, unpraktikabel und ungerecht, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Gerechtigkeit ist jetzt schon eine der klingenden Vokabeln des Wahlkampfs. In vollmundigen Zeiten sind Wörter mit Resonanzraum beliebt – besonders, wenn der so leer ist, dass er schön hallt, sich aber ansonsten variabel einrichten lässt.

Der Familienverband, eine Organisation mit 15 500 Mitgliedern, hat gerade eine große Gerechtigkeitskampagne gestartet: Gefordert wird die Einführung des Kinderwahlrechts. Das klingt supermodern, es klingt jung, es klingt wie ein Wahlplakat mit süß lächelnden Milchzahnmenschen aussieht. Das Problem ist nur: Es ist das Gegenteil von gerecht.

Die Idee eines Kinderwahlrechts ist so bekannt wie umstritten. Sie hat Anhänger in allen Parteien, dazu gehört auch die amtierende Familienministerin Manuela Schwesig, selbst gerade wieder Mutter geworden. Zwei Mal debattierte der Bundestag bereits über das Thema. Gerechtigkeit wird von Befürwortern als entscheidendes Argument ins Feld geführt.

Haben Junge einen höheren Stellenwert als Alte?

Da ist zum einen die zwischen den Generationen, die in einer Republik mit vielen Alten zu ungunsten der Jungen aus den Fugen gerate, und zum anderen die Gerechtigkeit der Teilhabe von 13 Millionen kleinen Menschen ohne Stimmrecht. Kindern und Eltern solle ein „ihrer Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft angemessener Stellenwert“ eingeräumt werden, so einer der Anträge.

„Nur wer wählt, zählt“, nennt der Familienverband seine Kampagne. Das kann man auch anders formulieren: Jeder zählt genau so viel, wie er zeugt. Wer so denkt, der beklagt kein Demokratiedefizit, er kämpft für eines. Denn nichts anderes ist es, wenn einer einzelnen Gruppe innerhalb einer Gesellschaft herausgehobene Rechte zuteil werden – und damit mehr Macht als anderen. Wenn die Befürworter ehrlich sind, müssen sie das auch zugeben: Sie argumentieren ja schließlich gerade damit, wer welchen „Stellenwert“ in dieser Gesellschaft habe. Und so ist schon das Wort Kinderwahlrecht irreführend. Es geht darum, Familien – und damit zunächst Eltern – mehrfaches Stimmrecht zu geben.

Was, wenn die Eltern politisch nicht einer Meinung sind?

Allein die praktischen Probleme machen die Übergriffigkeit des Vorschlags klar: Wer stimmt bitte für das gemeinsame Kind, wenn die Eltern politisch unterschiedlicher Meinung sind? Geht man da zu einer Schlichtungsstelle? Oder diskutiert gemeinsam in der Wahlkabine? Was passiert bei einer Trennung mit geteiltem Sorgerecht? Werden Kinder ihre Eltern rückwirkend für falsche Stimmabgabe verklagen können? Wer entscheidet, wann ein Kind oder Jugendlicher in der Lage ist zu wählen? Was, wenn das Kind passionierter Nichtwähler wäre, Mama aber seine Stimme abgibt? Wie sieht es mit Pflege- und Adoptivkindern aus, wie leiblich muss man als Elternteil sein? Wer übt das Stimmrecht aus, wenn die Eltern sterben? Oma und Opa etwa, die ohnehin angeblich schon demografisch überlegenen „Alten“? Und was machen eigentlich ungewollt Kinderlose mit dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit? Vielleicht auch klagen?

Die Entscheidungsgewalt eines Menschen in der parlamentarischen Demokratie besteht im Wahlrecht. Eine Wahl muss demnach frei, gleich, allgemein und geheim sein. Jeder, der Bürger mitsamt den Pflichten ist, hat eine Stimme, die er persönlich, für keinen anderen, abgibt. Sowohl der Gleichheitsgrundsatz als auch der der Unmittelbarkeit wären mit dem Kinderwahlrecht verletzt.

In einer Demokratie ist jeder gleich viel wert

Man ist in einer Demokratie nicht mehr oder weniger wert, weil man arm oder reich ist, Frau oder Mann (was nicht immer so war), Vater oder nicht. Wie ungerecht der Vorstoß für ein Kinderwahlrecht ist, zeigt seine biografische Umkehr: - Welcher Sturm der Entrüstung bräche zu Recht los, würde man, um jungen Wählern mehr Gewicht zu verleihen, jedem über 75 das Wahlrecht entziehen?

Vorschau
Am kommenden Dienstag, 2. Mai, schreibt an dieser Stelle unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.