Keine Gnade: Auch dicke Äste mussten im Auftrag der Stadt dran glauben. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die Polizei rückt nach Untertürkheim aus. Gartenbesitzer melden erhebliche Beschädigungen auf ihren Grundstücken. Doch die Suche nach dem Übeltäter fördert Überraschendes zu Tage.

Stuttgart - Es ist ein kleines Paradies. Nur wenige Schritte von der geschäftigen Industrielandschaft des Neckartals entfernt herrschen Ruhe und Natur. Hinter der Augsburger Straße in Untertürkheim zieht sich das Gebiet „Innerer Blick“ sanft die Hänge hinauf. Reben wechseln sich mit großen Gartengrundstücken und einer Kleingartenanlage ab. Idylle pur.

Doch etwas passt nicht ins Bild. Entlang des Rundwegs, der das Gebiet erschließt, zieht sich eine Schneise der Zerstörung. Dicke Äste von Bäumen sind abgesägt, abgerissene Sträucher ragen empor, überall frische Bruch- und Schnittstellen. „Wir haben unseren Augen nicht getraut, als wir das vor kurzem entdeckt haben“, sagt ein Gartenbesitzer, der gerade einen beschädigten Apfelbaum versorgt. Ein Nachbar erzählt: „Da hat jemand entlang des Wegs richtig Tabula rasa gemacht. Und zwar nicht nur direkt an den Zäunen, sondern bis zu einem Meter in die Gärten hinein. Apfel- und Quittenbäume sind zerstört worden.“

Die Gartenbesitzer holen die Polizei und erstatten Anzeige wegen Sachbeschädigung. Und schnell entsteht ein Verdacht bei ihnen, denn es wurde beobachtet, dass offenbar die Straße gesperrt worden ist, um den Rückschnitt zu machen. Sie wenden sich an die Stadt. Und erfahren Erstaunliches: Der Kahlschlag ist im Auftrag der Verwaltung vorgenommen worden. Hinter vorgehaltener Hand schwingt angesichts der Schäden wohl Bedauern mit.

Wege waren zugewachsen

Offiziell klingt das jedoch ganz anders. „Der Rückschnitt war in diesem Jahr intensiver, weil der Bereich erheblich zugewachsen war. Ziel der Maßnahme war daher, Struktur in die Vegetation zu bringen und die Verkehrssicherheit aufrecht zu erhalten. In den nächsten Jahren werden die Pflegemaßnahmen weniger intensiv sein“, teilt Rathaussprecher Martin Thronberens mit. Das Garten-, Friedhofs- und Forstamt habe die Arbeiten im Auftrag des Tiefbauamts an eine Fremdfirma vergeben. Zuvor seien Beschwerden von Autofahrern, Landwirten und Wengertern eingegangen, die ihre Flächen wegen ausladender Äste nicht mehr erreichen konnten.

Da es sich um „sehr viele Äste“ gehandelt habe, sei der Rückschnitt maschinell erfolgt, heißt es bei der Stadtverwaltung. Von Hand wären die Arbeiten zu aufwendig gewesen. Und ein deutlicher Fingerzeig an die Gartenbesitzer kommt von den beteiligten Ämtern auch noch hinterher: „Eigentlich wäre es die Aufgabe der Anlieger gewesen, die überhängenden Äste zurückzuschneiden. Die Stadt hat gehandelt, um die Verkehrssicherheit der Wege herzustellen.“ Kein Wort dazu, dass der übliche Rahmen dabei offenbar deutlich gesprengt worden ist.

Ganz so einfach dürfte der Fall auch nicht erledigt sein. „Wir haben uns das angesehen und ermitteln wegen Sachbeschädigung“, sagt ein Sprecher der Stuttgarter Polizei. Der Verursacher sei allerdings noch nicht ganz klar. Die Geschichte sei juristisch „nicht ohne“. Kommt die Polizei nämlich zur Meinung, es handle sich um fahrlässige Sachbeschädigung, sind die Ermittler raus. Dann können die Gartenbesitzer nur auf zivilrechtlichem Weg gegen den Verursacher vorgehen. Sieht man dagegen einen Vorsatz, dann ist etwas ganz anderes zu klären. Nämlich, ob die Stadt den Radikalschnitt in genau dieser Form angeordnet hat oder ob die Fremdfirma schlicht übers Ziel hinausgeschossen ist. Dann wäre das Unternehmen strafrechtlich verantwortlich.

Noch weiterer Ärger mit Gartenbesitzern

So oder so – die betroffenen Gartenbesitzer können die Argumentation der Verwaltung nicht recht nachvollziehen. „Selbst wenn einzelne Grundstückseigentümer den Weg haben zuwachsen lassen: Das rechtfertigt doch nicht, dass man die Bäume und Sträucher von sämtlichen Anliegern beschädigt“, sagt einer von ihnen. Zumal weit in die Gärten hinein eingegriffen worden sei. Ein anderer merkt an, dass man vorher noch nicht einmal angeschrieben oder auf andere Weise informiert worden sei. „Das geht doch nicht“, sagt der Mann kopfschüttelnd.

Die Auseinandersetzung kommt zu einer Zeit, in der die Verwaltung ohnehin einigen Ärger mit Gartenbesitzern hat. Zuletzt gab es heftige Vorwürfe gegen das Umweltamt, weil Eigentümer von Grundstücken in Landschaftsschutzgebieten nach Kontrollen strenge Auflagen bekommen haben. Die wirken auf viele völlig überzogen. So mussten in Heumaden Kinderspielhäuschen, gemauerte Grills oder Platten am Boden entfernt werden. Zudem sind Zäune oder Gartentore eigentlich verboten, was viele als völlig realitätsfremd empfinden. Dabei geht es offiziell darum, den landschaftlichen Gesamteindruck nicht zu trüben.

Der ist in Untertürkheim derzeit alles andere als in Ordnung. In diversen Gärten haben inzwischen die Reparaturarbeiten begonnen. „So etwas“, sagt ein Eigentümer, „habe ich noch nie erlebt.“