Bernhard Köhler muss sein Spielhäuschen aus Holz abbauen – oder für eine befristete Genehmigung in gedeckten Farben streichen, damit der Naturgenuss nicht beeinträchtigt wird. Foto: Oliver Willikonsky

30.000 Gartengrundstücke in Stuttgart liegen im Landschaftsschutzgebiet. Die Stadt bekämpft dort Wildwuchs von Hütten und andere Verstöße. Doch viele Betroffene beklagen Willkür und geradezu groteske Auflagen.

Stuttgart - Die Sonne steht tief und taucht das große Garten- und Wiesengebiet unterhalb von Heumaden in die schönsten Farben. Zahlreiche Menschen haben dort, im Landschaftsschutzgebiet, ihre Obstbäume, Hecken und Häuschen. Auch die Familie Schüle, ganz hinten am Ende eines Feldwegs, der in einer Sackgasse endet. Peter Schüle öffnet sein Holz-Gartentor. Und hat in diesem Moment das erste Problem. Denn ein Gartentor gilt als Blickschutz. Auch der Zaun um das steile Hanggrundstück ist eigentlich verboten – Problem Nummer zwei. Im Garten stehen zwei unscheinbare Holzhäuschen, die die Schüles vor 26 Jahren schon vom Vorgänger übernommen haben und die begrünt sind. Eines davon hat eine Genehmigung, das andere nicht. Trotzdem sollen eigentlich beide weg. Problem Nummer drei. Und so geht es gerade weiter.

Seit das Amt für Umweltschutz im Spätsommer dort eine Begehung gemacht hat, ist in dem Gartengebiet nichts mehr wie vorher. Rund 90 Grundstücke wurden überprüft, 50 Eigentümer haben danach Post bekommen. Darin sind Auflagen aufgelistet, Rückbauforderungen vorgetragen und Geldstrafen wegen Ordnungswidrigkeiten angedroht. Es dürften im Landschaftsschutzgebiet keine Handlungen vorgenommen werden, „die das Landschaftsbild nachteilig verändern oder den Naturgenus beeinträchtigen“, heißt es in den Briefen. Am Telefon wurde einem der Betroffenen gesagt, eine Freizeitnutzung auf den Grundstücken dürfe auf keinen Fall zu erkennen sein.

„Wir könnten das ja nachvollziehen, wenn es bei uns schlimm aussehen würde. Aber wir bewirtschaften hier als Selbstversorger einen naturbelassenen Garten“, sagt Irina Schüle. In den Hütten lagern die Werkzeuge dafür und die Ernte. „Und wenn wir die Zäune weglassen müssten, bräuchten wir nichts mehr anzubauen. Dann wäre alles weg, dafür wären die Hunde drin“, sagt sie. Die Schüles haben inzwischen einen Rechtsanwalt hinzugezogen.

Leute verlieren die Lust an der Landschaftspflege

Auch die Nachbarn ringsum haben Post bekommen. Bernhard Köhler zum Beispiel hat in seinem Garten ein Spielhäuschen aus Holz für die Kinder stehen. Freundlich in blau-gelb gestrichen. Auch das soll weg. Es sei denn, er streicht es um. In gedeckten Farben. Dann könnte es eine Ausnahmegenehmigung bis 2021 geben – „ohne Verlängerungsoption“. „Das Gebiet hier befindet sich zum Teil seit Generationen in Familienbesitz und wird häufig sehr liebevoll gepflegt. Verbietet man jede freizeitliche Nutzung, motiviert das nicht dazu, dies noch weiter zu tun“, sagt Köhler.

Noch einen Garten weiter musste Axel Hinderer sein halbes Gelände umbauen. Den zeitweiligen Schutz um seine Tomaten aus Folie und einem kleinen Welldach hat er entfernt. Als er das erzählt, sitzt er auf einem merkwürdigen Hocker, der mit Natursteinen verkleidet ist. Das war mal ein gemauerter Grill, auch bei ihm noch vom Vorgänger. Er musste ihn jetzt nach zig Jahren abbauen. Der Stumpf vom Unterbau darf nur bleiben, wenn er naturnah verpackt ist. Das Netz über seiner Handvoll Reben wurde ebenfalls beanstandet. „Und als sie mir auf dem Amt auch noch einreden wollten, das Häuschen sei nicht genehmigt, konnte ich zum Glück gleich die gegenteiligen Unterlagen rausziehen“, sagt er. Und wundert sich, so wie mancher hier. Denn im Gebiet gibt es einige Grundstücke, die wirklich aussehen wie Kraut und Rüben, teils mit mehreren Schwarzbauten. Die sind aber teilweise gar nicht beanstandet worden.

Die Stadt verteidigt ihr Vorgehen. „Die Anforderungen sind angemessen und dienen der Einhaltung der Verordnungen für Landschaftsschutzgebiete“, sagt Sprecher Martin Thronberens. 27 solcher Gebiete gibt es in Stuttgart, fast ein Drittel der Stadtfläche zählt dazu. Die meisten privaten und städtischen Garten- und Wiesenflächen liegen darin, nämlich um die 30 000 Grundstücke. In denen vieles nicht erlaubt ist. Das regeln verschiedene Verordnungen, die zum Teil noch aus dem Jahr 1961 stammen. „In der Regel sind auf einer bewirtschafteten Fläche nur unterirdische Leitungen, eine kleine Be- und Entladefläche, eine kleine Gerätehütte in bestimmter Bauweise sowie die notwendigen Materialien erlaubt“, erläutert Thronberens. Alles andere ist verboten oder genehmigungspflichtig.

Zahlreiche Missstände

Die Zahl der Missstände und Beanstandungen wächst laut Stadtverwaltung „stetig“. Das reiche bis hin zu Tierställen, Gewächshäusern, Lagerflächen, großen Terrassen und richtigen Häusern. „Ursache ist vor allem ein Wandel bei der Bewirtschaftung weg vom Naturnahen hin zu schrebergartenähnlichen Strukturen mit reiner Freizeitnutzung“, so Thronberens. Über diesen Anblick wiederum beschwerten sich immer wieder Bürger.

Auffällig ist freilich die Diskrepanz bei den beteiligten städtischen Ämtern. Das Baurechtsamt beklagt seit Jahren, nicht genug Personal für die Kontrolle der Außenbezirke zu haben. Richtige Schwarzbauten bleiben also oft ohne Folgen. Das Amt für Umweltschutz dagegen macht pro Jahr etwa 40 Kontrollen – und nimmt es dabei ganz genau mit dem Landschaftsbild. Selbst bei Tomatenabdeckungen.

In Heumaden gibt es inzwischen diverse Nachbesichtigungen und Schriftwechsel. „Wenn wir diese Auflagen alle einhalten müssen“, sagt Peter Schüle, „brauchen wir keinen Garten mehr bewirtschaften.“