Inge Fabi Foto: Annegret Jacobs

50 Jahre im gleichen Betrieb – wer ist das heute schon? Inge Fabi und vier weitere Mitglieder der Lebenshilfe haben dieses Jubiläum jüngst gefeiert. Jetzt sind sie in Rente – und bedauern das. Denn die Arbeit in den Werkstätten hat ihnen viel Spaß gemacht.

Vaihingen - Von oben wirft Inge Fabi einen Blick aus dem Fenster auf die Bäckerei der Lebenshilfe-Werkstätten im Erdgeschoss. „Manchmal vermisse ich die Arbeit da unten schon“, sagt sie. So „a bissle“ halt. Viele Jahre hat die 66-Jährige dort unten als Verkäuferin gearbeitet, wie viele genau weiß sie gerade nicht. Sehr genau weiß Fabi aber, dass sie fast auf den Tag seit 50 Jahren in den Werkstätten der Lebenshilfe gearbeitet hat.

Der 18. Dezember 1962 war ihr erster Tag. „Es hat mir fast immer Spaß gemacht“, sagt Fabi. Vor allem dann, wenn sie Elektrogeräte anschließen konnte – und dazu hatte sie mit den Öfen in der Bäckerei zuletzt viel Gelegenheit. Ihr Gesicht strahlt, wenn sie davon erzählt, wie sie außerdem Bestellungen aufgenommen oder süße Stückle in Tüten abgepackt hat. „In der Telefonzentrale war ich auch“, sagt Fabi. Auch diese Aufgabe habe sie gerne gemacht.

Dreimal die Woche kommt sie – aber nur noch freiwillig

Doch seit einem Jahr ist das nun vorbei. Vor einem Jahr ist Inge Fabi 65 Jahre alt geworden und in Rente gegangen, so wie das in Deutschland für Angestellte üblich ist. Seitdem steht sie nicht mehr jeden Morgen ab 8 Uhr im Verkaufsraum der Bäckerei. Zwar kommt Fabi immer noch dreimal in der Woche in die Lebenshilfe-Werkstätten in der Jurastraße in Vaihingen – aber jetzt nur noch freiwillig. Immer montags, mittwochs und freitags hilft Fabi nun in Gruppen aus dem Bereich der Förderung und Betreuung mit. „Jetzt gehe ich halt in den vierten Stock zum Arbeiten und nicht mehr in die Bäckerei“, sagt sie.

An diesem Morgen hilft die 66-Jährige beispielsweise einer Frau aus der Gruppe beim Puzzeln. Geduldig sortiert Fabi die Puzzleteile nach Farben, fügt die Randstücke zusammen. Gruppenleiterin Nicola Schumacher weiß die Hilfe von Inge Fabi zu schätzen. „Sie ist für mich wirklich eine Entlastung“, sagt Schumacher. „Wenn Inge hier ist und sich mit einigen aus der Gruppe beschäftigt, hält sie mir und meinen Kollegen damit den Rücken frei.“

Der Platz in Stuttgart war ein Glück

Als Inge Fabi vor 50 Jahren ihren ersten Arbeitstag in den Werkstätten der Lebenshilfe in Stuttgart hatte, war sie gerade einmal 16 Jahre alt und hatte die Sonderschule abgeschlossen. Es war ein Glück für sie, dass sie einen Platz in Stuttgart bekommen hatte. Denn in diesen Zeiten war es keine Selbstverständlichkeit, dass Menschen mit Behinderung einen Beruf ausüben konnten. Es war bereits ein Glück gewesen, dass Inge Fabi überhaupt eine Schule besuchen konnte.

„Menschen mit einer Behinderung galten damals als bildungsunfähig und hatten kein Recht auf einen Schulbesuch“, sagt Eva Schackmann, Sprecherin der Lebenshilfe Stuttgart. Fabi gehört somit zu den Urgesteinen der Lebenshilfe in Stuttgart. Nur vier weitere Jubilare sind genauso lange wie sie dabei. Vergangene Woche wurden die fünf in einer Feierstunde geehrt. Mit Inge Fabi erreicht nun in den Lebenshilfe-Werkstätten in Vaihingen die erste Generation Behinderter das Rentenalter. Arbeiten, unter Menschen sein – das ist für sie alle wichtig. „Den ganzen Tag nur zuhause sein, das wäre nichts für mich“, sagt Fabi. Da würde ihr in der Wohnstätte in Feuerbach doch „die Decke auf den Kopf fallen“, sagt sie.

Auf das Rentnerdasein vorbereitet worden

Damit das nicht passiert, ist sie von ihren Betreuern auf ihr Rentnerdasein vorbereitet worden. Die letzten zwei Arbeitsjahre hat Fabi in Teilzeit gearbeitet, ist regelmäßig zum Helfen in die Gruppen des Förder- und Betreuungsbereichs gegangen. Dreimal in der Woche kommt sie nun aus Feuerbach, zumeist trifft Fabi, die selbstständig mit Bus und Bahn fährt, gegen 9.30 Uhr ein – nicht um 8 Uhr, wenn die Betreuung beginnt. Dienstags fährt sie gar nicht nach Vaihingen, sondern geht ins Awo-Zentrum in Feuerbach zum Gymnastikkurs, donnerstags zum Handarbeiten.

Noch mal schaut Inge Fabi aus dem Raum im vierten Stock auf die Bäckerei hinunter. „Neulich, als es so geschneit hat, war ich ganz froh, dass ich nicht mehr um 8 Uhr da unten sein musste.“