Jacques Offenbach (1819-1880) Foto: dpa

Der Komponist Jacques Offenbach wäre an diesem Donnerstag 200 Jahre alt geworden. Wie kaum ein anderer hat er selbst aus tiefem Ernst Unterhaltung gemacht. Und kaum ein anderer war so sehr Europäer wie der in Paris lebende deutsche Jude.

Köln/Paris - Er ist ein Schatten seiner selbst und lange schon tot. Versonnen trauert Hans Styx seiner vergangenen Größe nach. Und singt: „Als ich einst Prinz war in Arkadien,/Lebt’ ich in Reichtum, Glanz und Pracht./Alles ging jedoch zum Teufel,/Indem dass man mich umgebracht.“ Die Arie ist eine der berühmtesten, die der Komponist Jacques Offenbach geschrieben hat: ein Stück der Trauer über den Verlust von Glanz und Glamour, das, wenn die Operette „Orpheus in der Unterwelt“ mal wieder gegeben wird, oft für die brüllkomischsten Momente sorgt. Was für eine komische Figur! Und was für eine Reibung zwischen tiefem Ernst und Parodie, Text und Musik! Bei dem Komponisten (und gefeierten Cellisten), der am 20. Juni 1819 als Jakob Offenbach in Köln geboren wurde und 1833 nach Paris zog, um seinen Söhnen eine bessere Ausbildung zu ermöglichen, trägt im Zweifelsfall immer das Leichte den Sieg davon.

Wie andere Komponisten auch, hat Offenbach die Welt in Musik verpackt – nur wurden ihm dabei, auch weil er eine große Familie ernähren musste, nicht Sinfonie oder große Oper zur Heimat, sondern der musikalische Salon sowie die Kunstform, als deren Gründer er gilt: die Operette. Letzteres stimmt allerdings nicht ganz – wie überhaupt sehr Vieles bei diesem Künstler nur eine Halbwahrheit ist. Mit den späteren staatstragenden, konsenswilligen Wiener Operetten hat Offenbar nämlich überhaupt nichts am Hut gehabt.

Jacques Offenbachs Stücke erzählen Geschichten, aber sie wollen keine Geschichte schreiben. Sie beschreiben die Atmosphäre ihrer Zeit, oftmals legen sie den Finger in Wunden des sozialen Miteinanders, die heute noch bluten – etwa wenn er in „Die Großherzogin von Gerolstein“ den Militarismus ironisch aufs Korn nimmt. Sie können, wenn Götter und Könige als hohle Popanze dumme Couplets singen oder blöde Dinge tun, durchaus auch mal anarchistisch wirken. Ein Revolutionär war Offenbach allerdings nicht; im Zweifelsfalle lässt er seine Figuren statt zur Waffe lieber zum Reim greifen. Oder Can-Can tanzen. Offenbach will schlicht beim Publikum ankommen, er will wirken, und zwar möglichst sofort. Seine Operetten sind zum Gebrauch gemacht, nicht für die posthume Verehrung. Seine Musik ist wie ein klingender Fleischwolf, der alles Querständige, Subversive mundfertig macht und selbst große Gefühle zu leichter Kost verhackstückt.

Von Offenbachs 102 Bühnenwerken werden nur noch drei bis vier regelmäßig gespielt

Offenbach war ein Workaholic. Und er war durchtränkt von Theater. Nicht weniger als 102 Bühnenwerke hat der Komponist geschrieben. Dass sich von diesen heute (bis auf wenige Ausnahmen) nur vier („Hoffmanns Erzählungen“, „Orpheus in der Unterwelt“, „Die schöne Helena“ und, seltener, „Pariser Leben“) auf den Spielplänen behaupten, ist auch ein Ergebnis der Probleme, mit denen Offenbach immer zu kämpfen hatte: Franzosen galt er – vor allem nach dem verlorenen deutsch-französischen Krieg ab 1871 – als Deutscher, als Spion Bismarcks, Deutschen galt er als Franzose, auch als Gegenpol zu Wagner. Und im Zweifelsfall war er für alle der Jude, der ohnehin nicht dazugehört – selbst noch nach seiner Konversion zum Christentum. Außerdem zeugt die nur schüttere Bühnenpräsenz seiner Operettenvielfalt von dem Klischee, das unser Bild des Komponisten bis heute bestimmt: Offenbach, das ist der Can-Can von „Orpheus in der Unterwelt“, das ist die Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“.

Dabei ist kaum ein Komponist so breit und so international aufgestellt wie Jacques Offenbach. Er ist durch Europa gereist, hat die unterschiedlichen Kulturen in sich aufgesaugt und lässt in seiner Operette „Pariser Leben“ die ganze Welt zur Weltausstellung 1867 zusammenkommen. Feiern tut allerdings zurzeit nur die Geburtsstadt des Komponisten: Unter dem Motto „Yes we Can-Can“ bietet eine noch ziemlich junge Offenbach-Gesellschaft in Köln Ausstellung, Diskussionen und Musik. Hohe Wellen schlägt das bisher allerdings noch nicht. Stell dir vor, einer tanzt Can-Can, und keiner tanzt mit. Offenbachs Musik harrt nicht nur ihrer (Wieder-)Entdeckung, sondern müsste zunächst erst einmal ernsthaft wahrgenommen werden.