Der König amüsiert sich - Roger Smeerts und der Chor der Komischen Oper Berlin Foto: Ilko Freese/Komische Oper Berlin

Andreas Kriegenburg scheitert schön mit Verdi, Nicolas Stemann gelingt fulminanter Offenbach.

Berlin - Angst vor dem schwarzen Mann? Andreas Kriegenburg hat sie nicht. Deshalb darf der Tenor José Cura als Mohr von Venedig in seiner Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Eifersuchtsoper "Otello" an der Deutschen Oper Berlin so schwarz bleiben, wie er es am gemeinen Stadttheater immer schon war.

Zwar malen sich einige Chorsänger in einem stummen Vorspiel die Gesichter mit dunkler Farbe an - der Regisseur will, liest man im Programmheft, den Spieß auch mal umdrehen und die Weißen im "Otello" zu einer Minderheit machen, die unter Massen afrikanischer Flüchtlinge zu leiden hat. Doch irgendwie verliert sich diese Idee in dieser merkwürdigen, nach Kriegenburgs schönem, detailreichem "Wozzeck" in München überraschend konventionellen Deutung. Selbst für den größten Handlungsauslöser des Stücks, den Minderwertigkeitskomplex des Titelhelden, findet der Regisseur keine Erklärung und also auch keine wirklich zwingenden Bilder. Und die Hauptfiguren stehen mit Vorliebe an der Rampe.

Inmitten der Wirren des Widerstands

Man könnte sich schwarzärgern. Nur das Bühnenbild hindert daran: Harald Thor hat die gesamte Rückwand der Bühne als mehrstöckige Flüchtlingsbaracke eingerichtet, die von Statisten und Choristen belebt wird wie ein lebendiges Plakat. Doch auch der Krieg, auf den es verweist, bleibt blasse Folie. Hätte die Sopranistin Anja Harteros der Desdemona nicht so viele farbige, präzise Seelentöne beigegeben, man wäre bei Kriegenburgs Regie-Nullnummer, bei José Curas mit mehr Kraft als Kunst gesungener Otello-Mogelpackung und beim farblosen Jago von Zeljko Lucic wohl sanft eingeschlummert.

Das kann einem bei Nicolas Stemanns erster Annäherung an das Musiktheater nicht passieren. An der Komischen Oper benutzt er Jacques Offenbachs Operette "La Périchole" zu einem intelligenten, aber auch unterhaltsamen Rundumschlag gegen die Spaßkultur. Für die Möglichkeit einer Ironisierung des Ironischen sorgt ein kunstvoller doppelter Rahmen. Zwei Conférenciers moderieren das 1868, also inmitten der Wirren des Widerstands gegen Napoleon III., uraufgeführte Stück ("Sie hören nun die lustige Operette ,La Périchole' von Jacques Offenbach. Viel Vergnügen!"). Und dann ist da noch dieser einsame Revolutionär. Nachdem der Vorhang aufgegangen ist, steht er, in der Hand eine rote Fahne, im Trockeneisnebel auf der Bühne, ein einsames Relikt der Pariser Kommune. Während er die Arbeiterklasse zur "großen Schlacht" aufruft, dirigiert Markus Poschner das Vorspiel. Zu hören ist aber nicht jenes zu der lustigen Operette, die ihre Kritik am Zustand der Welt in Spaßpapier eingewickelt hat, zu hören ist das Vorspiel zu Wagners "Tristan und Isolde". Bätsch!

Die Zuschauer singen gerne mit

Auch die Musik mischt sich ein in Nicolas Stemanns entlarvendes Spiel um die affirmative Kraft einer Unterhaltungskultur, die heute noch ebenso stark wirkt wie zu der Zeit, als Offenbach wie Gott in Frankreich lebte.

Und auch die Musik stellt die Frage aller Fragen, um die Abend kreist. Es hört halt nur keiner zu. "Wo ist die Wahrheit?", schreit der Revolutionär - doch gehört wird hier nur, wer singt. "Ist das auch die Wahrheit?", fragt das Straßensänger-Pärchen Périchole und Piquillo (toll: Karolina Gumos und Johannes Chum) immer von Neuem zwischen ewigen Wiederholungen ihres "Ich lieb dich, du liebst mich, wir sind uns nah etcetera" (ja, so lautet der von Bernd Wilms launig neu übersetzte Text wirklich).

Die Zuschauer singen gerne mit

Offenbachs Musik ist wie ein klingender Fleischwolf, der alles Querständige, Subversive mundfertig macht und selbst große Gefühle zu leichter Kost verhackstückt. Indem das Orchester diesem Gute-Laune-Ton Teile von Wagners zeitnah entstandenem großem Liebesdrama entgegensetzt, wird das Muntere plötzlich schal. Für Offenbachs denkwürdiges Talent, die Zustände der politischen Welt auf so unterhaltsame Weise zu kritisieren, dass die Parodierten selbst ihre Zerrbilder lachend bejubelten, findet Stemann ein zwingendes zeitgenössisches Pendant. Er treibt einzelne Momente in die Endlosschleife, er fordert so vehement, bis es keiner mehr hören und sehen mag, ein Amüsement um jeden Preis, und nur der unerhörte Revolutionär begreift, was eigentlich vor sich geht. "Das Wahre ist ein Moment des Falschen!", ruft er verzweifelt, und "Das Spektakel ist der Wächter des Schlafes!"

Ach was, trallala hopsasa. Das findet auch das Publikum. Es amüsiert sich zusammen mit dem blöden peruanischen Vizekönig auf der Bühne so königlich über die lustigen Kostüme und das Spiel mit dem Spiel. "Das ist Ironie!", stellt einer der ewig lächelnden Moderatoren einmal nicht ohne dieselbe fest. Beim "Mein Gott, wie sind die Männer dämlich!" folgen die Zuschauer - auch die männlichen - dann sogar gerne der Aufforderung zum Mitsingen, sie geben Gas und wollen Spaß und sind noch heute Teil des Systems. Auch das ist Ironie - und kaum zu glauben. Erst nachdem Stemann nicht weniger als drei Versionen des Finales serviert hat, die in einer Brechung des gebrochenen Happy Ends gipfeln, ist wirklich Schluss mit lustig. Zurück bleibt viel Gedankenfutter. Offenbach sei Dank.

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