Im Nordirak hat die Terrormiliz Islamischer Staat wichtige christliche Regionen unter ihre Kontrolle gebracht. Nach UN-Angaben sind derzeit 200.000 Menschen vor den Dschihadisten auf der Flucht.

Im Nordirak hat die Terrormiliz Islamischer Staat wichtige christliche Regionen unter ihre Kontrolle gebracht. Nach UN-Angaben sind derzeit 200.000 Menschen vor den Dschihadisten auf der Flucht.

Bagdad - Der Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat in eine Christenregion hat im Irak eine neue Massenflucht ausgelöst.

Hunderttausend Menschen flohen nach Angaben des Patriarchen der chaldäisch-katholischen Kirche, Louis Raphael I. Sako, am Donnerstag zum Teil zu Fuß aus ihren Heimatdörfern im Norden. Papst Franziskus rief die internationale Gemeinschaft in einem flammenden Appell zu einem verstärkten Einsatz für die von Gewalt und Vertreibung betroffenen Menschen in der Region auf. In New York berief der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eilig eine Sondersitzung ein.

Die französische und die britische UN-Mission bestätigten ein Treffen für 17.30 Uhr Ortszeit (23.30 Uhr MESZ). Das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen sollte hinter verschlossenen Türen tagen. Die internationale Gemeinschaft solle mobilisiert werden, um der terroristischen Entwicklung in dem Land entgegenzuwirken, sagte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius.

Präsident François Hollande sicherte Kurdenpräsident Massud Barsani in einem Gespräch Unterstützung zu. Die Verfolgung religiöser Minderheiten durch Terroristen sei ein besonders schweres Verbrechen, sagte Hollande nach Angaben aus dem Élysée. Er versprach Barsani, im Rahmen der Möglichkeiten Flüchtlinge in Frankreich aufzunehmen.

Erst am Wochenende hatten die sunnitischen Extremisten das Hauptsiedlungsgebiet der kurdischen Minderheit der Jesiden überfallen und laut Augenzeugen viele von ihnen getötet. Im Sindschar-Gebirge sind nach UN-Angaben derzeit noch 200.000 Menschen vor den Dschihadisten auf der Flucht. Bei den meisten dieser Flüchtlinge handelt es sich um Jesiden. Die Anhänger dieser eigenständigen monotheistischen Religion werden von IS als "Teufelsanbeter" verunglimpft.

Türkei will Hilfspakete abwerfen

Die Türkei kündigte nun an, Hilfspakete von irakischen Helikoptern über dem Zufluchtsgebiet der Jesiden abwerfen zu lassen. Außenminister Ahmet Davutoglu nannte die IS-Angriffe auf die religiöse Minderheit eine "humanitäre Tragödie".

In der Nacht zum Donnerstag brachten IS-Kämpfer wichtige christliche Regionen unter ihre Kontrolle, darunter die historischen assyrischen Orte Karakosch und Tal Kaif, wie geflohene Bewohner berichteten. Die meisten Familien seien daraufhin in die kurdischen Autonomiegebiete geflohen. Aus Karakosch waren bereits Ende Juni bis zu 15 000 Christen nach Mörserangriffen geflohen, eine Woche später jedoch zum großen Teil wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.

Patriarch Louis Raphael I. Sako beschrieb die Lage der nun geflüchteten Christen in einem Appell an das katholische Hilfswerk "Kirche in Not": "Wie bei einem Exodus oder vergleichbar mit einem Kreuzweg flüchten Christen zu Fuß in der sengenden Sommerhitze des Irak in die kurdischen Städte Erbil, Duhok und Sulaymaniya, unter ihnen auch kranke und alte Menschen, Kinder und Schwangere." Das sei nicht nur eine humanitäre Katastrophe, es drohe vielmehr ein Völkermord. "Die Menschen benötigen Wasser, Essen und Obdach."

In einem von Vatikan-Sprecher Federico Lombardi verlesenen Aufruf von Papst Franziskus heißt es, dem humanitären Drama in der Region müsse ein Ende bereitet werden. Von dem Konflikt seien eine wehrlose Bevölkerung und dabei vor allem christliche Gemeinschaften betroffen, ein Volk fliehe aus seinen Dörfern.

Vor 2003 lebten noch rund 1,2 Millionen Christen im Irak - viele von ihnen im Norden. Zuletzt wurde deren Zahl auf 500 000 geschätzt, sie dürfte nun weiter sinken. Auch die meisten der schätzungsweise 800.000 Jesiden weltweit lebten in der Region.

Mit der Eroberung der Stadt Mossul im Juni hatte sich die IS-Miliz dort festgesetzt. Zunächst startete sie den Vormarsch auf Bagdad und bekämpfte vor allem Schiiten. Inzwischen rücken die Extremisten auch immer weiter in Richtung Norden an die Grenzen der Autonomieregion Kurdistan und damit in christliche und jesidische Gebiete vor.