Der EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer sieht die Grünen zu neuen Ufern aufbrechen. Foto: dpa

Koch oder Kellner? So hat der sozialdemokratische Altkanzler Schröder die Koalitionsfrage in der rot-grünen Regierungszeit gestellt. Der EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer gibt für die Grünen der Zukunft eine ganz neue Antwort.

Berlin - Offensive Offenheit: Die Grünen nehmen die Arbeit an ihrem neuen Grundsatzprogramm auf. Wohin die Reise gehen soll, lässt die Partei gezielt völlig offen. In jedem Fall müsse das neue Programm zeigen, dass die Partei gerüstet ist, Führungsverantwortung zu übernehmen, sagt der EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer.

Herr Bütikofer, wieso brauchen die Grünen ein neues Grundsatzprogramm, wo das geltende gerade erst im Teenageralter ist?
Ein neues Grundsatzprogramm zu schreiben heißt ja nicht, die eigene Wertorientierung für überholt zu erklären. Aber in den vergangenen 16 Jahren hat sich so viel verändert, dass es sich lohnt, gründlich zu reflektieren, wie wir diesen Werten heute und morgen die größtmögliche Strahlkraft geben. Zum 40. Jubiläum der Parteigründung das dritte Grundsatzprogramm: Das ist keine unziemliche Hast.
Aber braucht man wirklich neue Grundsätze, um mit neuen, aktuellen Themen umzugehen?
Unsere Werte Demokratie, Gerechtigkeit, Ökologie und Selbstbestimmung bilden einen starken Grundakkord. Doch welche zeitgemäßen Melodien entwickeln wir daraus? Der Kampf gegen die Spaltung unserer Gesellschaft, die Herausforderungen der Identitätspolitiken von rechts und links und des Populismus, die völlig veränderte internationale Lage, die Gefährdung des Projekts Europa, das verlangt eine Neupositionierung. Außerdem hat der Prozess des Grundsatzprogramms die Partei 2002 zusammengeführt und einigende Wirkung entfaltet. Die Erfahrung neu zu machen, mit allen, die seither dazugekommen sind, das können wir gut brauchen.
2002 ging es nicht nur darum, der veränderten Welt gerecht zu werden, sondern auch dem Wandel, den die Grünen selbst seit ihrer Gründung vollzogen hatten: Weg vom „Alarmismus“ der Gründerjahre, weg von der Antiparteienpartei und hin zum Selbstverständnis der Grünen als Alternative im parlamentarischen System. Wohin müssen die Grünen heute aufbrechen?
Wir müssen uns der Frage stellen, wie wir Grüne unserer Gesellschaft eine Perspektive bieten können, die hegemoniefähig ist. Dieser Anspruch gilt nicht nur in Baden-Württemberg, wo wir seit zwei Legislaturperioden die Regierung führen. Und weil unser Land vielfältig ist, wird man nicht einfach Kretschmann und die Südwest-Grünen kopieren. Aber es geht um grüne Mehrheitsfähigkeit.
Die Grünen sollen in politischen Debatten führen?
Heute schrumpfen die SPD und die Union, die so lange als Volksparteien erfolgreich waren, nicht nur zahlenmäßig, sondern auch in der geistigen Fähigkeit, Zukunft zu entwerfen. Das gibt uns die Chance, selber ein Orientierungsangebot zu machen, das sich an die ganze Gesellschaft richtet und demonstriert, dass wir für Führungsverantwortung gerüstet sind.
Müssen die Grünen sich mit ihren neuen Grundsätzen eher nach links oder nach rechts bewegen, oder ihr Profil als Weltkind in der Mitte schärfen?
2002 haben wir unsere Position als ökologisch aufgeklärte, ordoliberale Partei der linken Mitte bestimmt. Das ging über die alten Lager hinaus. Wir haben uns damals nicht nur auf linke, sondern auch auf rechtsstaatsliberale und wertkonservative Traditionen berufen und uns einer schlichten Gesäßgeografie verweigert. Heute gibt es eine stagnierende Linke und eine rückwärtsgewandte Rechte. In dieses Prokrustes-Bett wollen wir uns auf keinen Fall pressen lassen. Wir wollen uns weder nach der stagnierenden Linken strecken, noch durch die reaktionäre Rechte schrumpfen lassen. Die Aufgabe ist, Fragen von heute in einer neuen Weise anzugehen, die sich vor Radikalität nicht scheut, aber der Gesellschaft Veränderung nicht diktiert, sondern Veränderungskräfte stärkt und dabei ganz pragmatisch bündnisfähig ist.
Müssen die Grünen sich als Volkspartei neu erfinden?
Nein. Aber wir wollen Angebote machen, die sich nicht nur an eine Gemeinde von Minderheiten richten. Das erfordert auch die Fähigkeit, von anderen zu lernen. Mich befremden Vorstellungen, die so tun, als gäbe es bei anderen nichts, was wert wäre, beim Bau der Zukunft unseres Landes und Europas berücksichtigt zu werden.