Papst Paul II. besuchte 1982 seinen Attentäter Ali Agca im Gefängnis Rebibbia. Foto: dpa

Polen: Am 1. Mai wird der verehrte Papst Johannes Paul II. im Vatikan seliggesprochen.

Warschau - Rafael Bykowski zeigt nach oben. Die Blicke der Schaulustigen richten sich reflexartig in den Warschauer Frühlingshimmel. Weit über ihren Köpfen hängt ein junger Mann an der Außenwand der polnischen Nationalkirche. Durch Seile gesichert und mit Steigeisen bewehrt, arbeitet er sich immer weiter empor. An diesem Ort, der den Namen Tempel der Göttlichen Vorsehung trägt, scheint alles in die Höhe zu streben - hin zur Kuppel, hin zum Kreuz.

Die monumentale Kathedrale befindet sich noch im Bau. Genau genommen tut sie dies seit 220 Jahren. Damals beschloss der Reichstag des geteilten Polens die Errichtung eines Tempels als Sinnbild für die Freiheit der Nation, über die Gottes Vorsehung wachen möge. Doch in der irdischen Realität verhinderten die Besatzungsmächte Preußen, Österreich und Russland und später die polnischen Kommunisten das Vorhaben. Erst 1998 entschied das demokratische Polen, die Idee von 1791 doch noch in die Tat umzusetzen.

Seither wird an der Nationalkirche gewerkelt. Aber Chefingenieur Bykowski hat dieser Tage nicht den Baufortschritt im Sinn, sondern eine andere Mission. Dafür hat er eigens "professionelle Alpinisten angeheuert", wie er betont. Die Bergsteiger bringen rund 60 Meter über dem Erdboden jene Halterungen am Tempel an, die am 1. Mai ein riesiges, 600 Kilogramm schweres Porträt tragen sollen. Es setzt sich aus Zehntausenden Fotos polnischer Katholiken zusammen. Eine Spezialfirma hat die Bilder gescannt und auf eine Leinwand gebannt, die so groß ist wie die Hälfte eines Fußballfelds. Aus der Ferne betrachtet wird das Mosaik nur eine einzige überdimensionale Figur zeigen: Karol Wojtyla alias Johannes Paul II.

Am 1. Mai will der deutsche Papst Benedikt XVI. seinen vor sechs Jahren verstorbenen polnischen Vorgänger auf dem Petersplatz in Rom seligsprechen. In der Heimat Wojtylas wirft das Ereignis seit Wochen seine Schatten voraus. In vielen Städten werden die Gläubigen die Eucharistiefeier auf Leinwänden unter freiem Himmel verfolgen können - "Public Viewing", wie es sonst nur bei Sportereignissen üblich ist.

In Warschau soll sich rund um Johannes Pauls historisches "Papamobil" eine Prozession formieren. Der berühmte Wagen mit den kugelsicheren Scheiben, mit dem sich der Papst seit dem Attentat von 1981 durch Menschenansammlungen bewegte, wird aus der Altstadt zum Tempel der Göttlichen Vorsehung im Satellitenvorort Wilanow fahren. Dort wollen Ingenieur Bykowski und seine Helfer das gigantische Papst-Mosaik enthüllen - das größte Bildnis dieser Art weltweit.

Die Hälfte lehnt die Seligsprechungsfeiern ab

"Das Porträt wird die gesamte Stirnseite der Kathedrale überspannen", erläutert Sylwia Kabala. Die 25-Jährige arbeitet für das Erzbistum Warschau und führt Besucher durch Polens künftige Nationalkirche. Seit wenigen Wochen ist der Rohbau des Tempels fertig. Seither prangt in 75 Meter Höhe als einsamer Wegweiser ein goldenes Kreuz auf der Betonkuppel. Direkt daneben wächst ein Kran aus dem Dach des Hauptschiffes. Den Grundstein des Gotteshauses hat Johannes Paul II. 1999 persönlich geweiht. Und so ist es kein Wunder, dass der Tempel zu einem zentralen Ort der Seligsprechungsfeierlichkeiten in Warschau werden soll. Im Innern des steinernen Kolosses riecht es allerdings noch wenig festlich nach feuchtem Putz. An einer Wand im Untergeschoss stehen angelehnt einige Trauerkränze. Gedenktafeln sind in das Gemäuer eingelassen. Sie erinnern an jene Kirchenvertreter, die vor einem Jahr als Mitglieder der polnischen Präsidentendelegation beim Flugzeugabsturz von Smolensk ums Leben gekommen waren. Auch der 1984 von der kommunistischen Staatssicherheit ermordete Priester Jerzy Popieluszko hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden.

"Hier unter der Erde entsteht ein Pantheon für die Großen Polens", erklärt Sylwia Kabala und fügt hinzu: "Oben, direkt unterhalb der Kuppel, richten wir ein Museum für Johannes Paul II. ein." Dazwischen liegt das Hauptschiff, das 4000 Gläubigen Platz bieten soll. Kritiker nennen den Tempel eine geschmacklose, überdimensionierte Machtdemonstration der Kirche, die dagegen ankämpfe, dass sich "immer mehr Gläubige von ihr lossagen", wie der linksliberale Politiker Janusz Palikot meint.

Umfragen geben Palikot zumindest teilweise recht. Rund 90 Prozent der Polen sind katholisch, doch kaum zwei Drittel von ihnen haben noch Vertrauen in die Kirche. Etwa die Hälfte aller Befragten lehnt die öffentlichen Seligsprechungsfeiern für Johannes Paul II. ab. Dies solle eine innerkirchliche Angelegenheit bleiben, finden 53 Prozent der Polen.

Kabala kann darüber nur den Kopf schütteln. "70000 Gläubige haben sich an der Aktion für das Papst-Mosaik beteiligt", berichtet sie stolz. Im Übrigen gehe es bei dem Projekt keineswegs nur um Größe: "Dem Konzept liegt ein tiefer Symbolgehalt zugrunde. Johannes Paul war Zeit seines Lebens eine moralische Autorität für die Menschen in unserem Land. Er hat uns gelehrt, dass wir in lichten wie in finsteren Tagen zusammenstehen sollen. Das Mosaik ist ein Beispiel für diesen Gemeinsinn."

Tatsächlich macht das Unbehagen der Menschen an der Rolle der Kirche vor Johannes Paul II. halt. Vier von fünf Polen geben an, dass der verstorbene Papst ihr Leben positiv geprägt habe. "Er ist unser Leitstern", sagt Kabala. Mit ihren 25 Jahren gehört sie zur "Generation JP II". Soziologen bezeichnen damit jene Polen, die von Kindesbeinen an bis zum Tod des Heiligen Vaters nur Johannes Paul II. als Papst kannten. "Wir sind bis heute stolz auf ihn", sagt Kabala.