Hugo Egon Balder ist Komiker, kann aber auch anders Foto: Getty

Die meisten kennen Hugo Egon Balder nur als Ulknudel. Wie ernst er sein kann, zeigt der 64-Jährige in der Dokumentation „Mut der Verzweiflung“, in der er über das Schicksal seiner jüdischen Familie während des Holocausts spricht.

- Herr Balder, die meisten Zuschauer haben Sie selten so ernst erlebt wie in der Dokumentation „Mut der Verzweiflung“, in der Sie von Ihrer jüdischen Verwandtschaft im Holocaust erzählen.
Wie die meisten Menschen habe auch ich ein privates und ein öffentliches Gesicht. So ernst ich im Alltag auch sein kann, ist es hier doch fast das erste Mal, dass ich beruflich nichts Lustiges mache.
War dies der Grund, warum das ZDF zum 70. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung einen Komiker zum Erzähler macht?
Ich vermute schon. Die Fallhöhe - dass ein lustiger Vogel wie ich so bittere Dinge aus unserer Vergangenheit schildert – fanden die zuständigen Redakteure wohl interessant.
Und woher wussten die das?
Vermutlich haben sie die Sendung gesehen, bei der ich doch mal richtig ernst war: „Vorfahren gesucht“ im WDR, wo ich vor ein paar Jahren mit Rechercheuren auf die Suche nach meiner Verwandtschaft im Holocaust gegangen bin. Dabei habe auch ich vieles erfahren, was mir bis dahin nicht bewusst war. Vor allem über meine Mutter, die ja Theresienstadt überlebt hat.
Bei Ihnen zu Hause war das kein Thema?
Nie! Ich wusste zwar schon als Kind, dass meine Oma, meine Mutter und mein Bruder im KZ saßen, aber darüber hat keiner offen gesprochen. Im Gegenteil: Wenn mein Vater über den Krieg erzählt hat, klang das immer wie ein großes Abenteuer.
Die typische Realitätsblockade der Nachkriegsgesellschaft . . .
Ganz genau. Bis zur WDR-Dokumentation hatte ich zum Beispiel keine Ahnung, dass mein Vater, dessen Schilderung jener Jahre immer so lustig war, zwölfmal in Gestapo-Haft war und mein Bruder siebenmal. Oder unter welchen Umständen es meiner Mutter gelungen ist, die Lagerhaft zu überstehen. Ein Grund dafür war anscheinend, dass sie gelernte Kindergärtnerin war, denn die wurden im Vorzeige-KZ Theresienstadt dringend benötigt, um für die Alliierten den Anschein der Humanität zu erwecken. Und das war nur die Spitze des Eisbergs dessen, was mir zuvor nicht klar war.
Was macht das mit einem Spätgeborenen?
Genau diese Frage hat sich auch das ZDF gestellt, dem es mit der Sendung eben nicht darum geht, zum 5000. Mal die Schicksale der Nazizeit nachzuerzählen, so wichtig das ist. Wichtiger war in dem Fall darzustellen, wie diese Schicksale und ihre Erzählung das Leben nachgeborener Generationen geprägt haben. Und da fängt man wirklich noch mal ganz neu an, über sich nachzudenken, und erlangt im Idealfall sogar Erkenntnisse, warum man so geworden ist, wie man ist.
Welche sind das in Ihrem Fall?
Ich bin ein sehr pragmatischer, nüchterner Mensch, der wenig nach außen trägt. Was mir von außen gern als Oberflächlichkeit, gar Arroganz ausgelegt wird, habe ich ohne Frage von meiner Mutter, die ihre Vergangenheit auch mit sich selbst ausgemacht hat. Sie hatte halt einen Strich unter ihre Vergangenheit gezogen. Hätte sie sich dagegen von Anfang an geöffnet, wäre ich womöglich ein anderer. Vielleicht hätte ich sogar einen anderen Beruf als Komiker.
Waren Ihre Eltern denn humorbegabt?
Absolut, ich hatte sogar eine heitere Kindheit. Mein Vater hatte neben seinem eigentlichen Beruf als Textilhändler rund 25 Jobs bis hin zum Film- und Theaterkritiker. Deshalb kannte er zum Beispiel Leute wie Werner Fink und ging regelmäßig ins „Kabarett der Komiker“, das seinerzeit in Berlin von großer Wichtigkeit war. So was erklärt natürlich einiges über meinen späteren Werdegang, obwohl meine Persönlichkeit eher von meiner Mutter geprägt wurde.
Weshalb Sie unter anderem nie weinen . . .
In der Tat, ich mache das alles mit mir aus.
Haben Sie auch nicht geweint, als Sie dem Schicksal Ihrer Eltern näher gekommen sind?
Innerlich schon, aber nie äußerlich.
Ist es im Rückblick zum Heulen oder Aufbegehren, was Ihrer Familie damals widerfahren ist?
Zu beidem und doch unbeschreiblich. Ich bin nach Theresienstadt gefahren, um mir ein eigenes Bild davon zu machen. Das holt einen insofern auf den Boden zurück, wenn man merkt: Bei allem Scheiß, der auch jetzt wieder in aller Welt passiert, geht‘s uns doch vergleichsweise gut. Auch das hat mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben. Ob nun Liebeskummer oder andere Schwierigkeiten – wann immer ich Probleme hatte, sagte sie mir: Du kannst dir gar nicht vorstellen, was der Mensch alles aushalten kann. Heute ist mir klarer, was sie damit meinte.
Hat sie Ihnen auch auf den Weg gegeben zu kämpfen, falls sich so etwas jemals wiederholen sollte?
Nee. Sie hat mir mit auf den Weg gegeben, niemandem zu sagen, dass ich Jude bin.
Sind Sie das denn?
Kein praktizierender, aber meine Mutter ist Jüdin, also bin ich auch einer.
Wenn man den nachdenklichen neben den lustigen Balder stellt: Welcher kommt dem echten am nächsten?
Beide gleichermaßen, nur dass der lustige eben öffentlich ist. Ich versuche Überschneidungen weitgehend zu vermeiden.
Bastian Pastewka sagte mal zu seiner gleichnamigen Serie, in der Sie zumindest dem Namen nach sich selbst spielen, da stecke schon viel Hugo Egon drin . . .
Das stimmt. Die ganze Serie ist jedoch eine große Karikatur. Ein Funken Wahrheit steckt also drin, aber ich bleibe eine Kunstfigur des ernsten Darstellers, der hier lustige Sachen spielt.

„Mut der Verzweiflung“ ZDF, 27. 1., 22.15 Uhr