Rolf Gaßmann ist gut gewappnet mit Zahlenmaterial zum Wohnungsmarkt in Stuttgart – und er redet Klartext. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt kamen 2018 effektiv 1553 Wohnungen hinzu. Das sei „beschämend“ wenig, sagt Vereinschef Rolf Gaßmann. Er macht eine denkbar ungünstige Rechnung auf.

Stuttgart - Der Mieterverein Stuttgart beklagt eine „beschämend niedrige“ Zuwachsrate beim Wohnungsbestand. Der Vereinschef Rolf Gaßmann reagierte mit dieser Kritik am Montag auf einen Bericht unserer Zeitung, dass die Zahl der fertiggestellten Wohnungen 2018 in Stuttgart von zuvor gut 2100 Einheiten auf 1847 zurückging, die Nettozahl der zusätzlichen Wohnungen für Stuttgart nach Abzug weggefallener Wohnungen sogar von 2039 auf 1553. Städtebaubürgermeister Peter Pätzold solle aufhören, diesen Umstand weiter schönzureden, sagte Gaßmann.

Der Grund: Pätzold hatte gegenüber unserer Zeitung von einer „kleinen Delle“ im Jahr 2018 gesprochen. Angesichts von Baugenehmigungen für rund 2100 Wohnungen, die im Jahr 2018 erteilt wurden nach lediglich 1461 genehmigten Wohnungsbauten im Jahr zuvor, könne man schon 2019 wieder mit vielen Fertigstellungen rechnen. Man bewege sich auf dem hohen Niveau der 1990er Jahre.

Der Bedarf ist viel größer als die Baurate, sagt der Vereinschef

Der Mieterverein sieht die Dinge grundsätzlich anders als die Verwaltungsspitze mit OB Fritz Kuhn (Grüne). Deren Wohnbauziel von 1800 Neubauwohnungen gehe völlig am Bedarf vorbei und sei selbst in diesem Jahrzehnt nicht erreicht worden. So seien von 2010 bis 2018 durchschnittlich netto nur 1450 Wohnungen in Stuttgart geschaffen worden. Demgegenüber habe der Einwohnerzuwachs 7000 Personen pro Jahr betragen, was einem Bedarf von 3600 Wohnungen entspreche. „Der Fehlbestand nahm damit jedes Jahr um über 2000 Wohnungen zu, was zu explodierenden Mieten und Kaufpreisen führt“, sagte Gaßmann.

Angesichts der Bevölkerungsprognose des Statistischen Amtes der Stadt werde die Wohnungsnot noch schlimmer werden, befürchtet der Mieterverein. So erwarteten die städtischen Statistiker bis 2030 eine Steigerung der Einwohnerzahl um 35 000 auf knapp 650 000. Daraus ergebe sich ein zusätzlicher Wohnungsbedarf von 1850 Wohnungen pro Jahr. Gaßmanns Fazit: Wenn auch der aktuell bestehende Fehlbestand abgebaut werden solle, müssten mindestens netto 3500 Wohnungen pro Jahr neu entstehen.

Dass solche Wohnbauleistungen bei aktiver Förderung durch die Stadt möglich sind, zeige Hamburg. Dort seien im vergangenen Jahr 10 674 Wohnungen fertiggestellt worden. Das bedeute, bezogen auf die Einwohnerzahl, die doppelte Bauleistung wie in Stuttgart. Der Mieterverein fordere deshalb von der Stadt und vom neuen Gemeinderat, „endlich die Realitäten am Wohnungsmarkt in Stuttgart zur Kenntnis zu nehmen und mehr Flächen insbesondere für bezahlbare Mietwohnungen zur Verfügung zu stellen.“