Ex-DFB-Präsident Zwanziger (li.) und sein Nachfolger Niersbach. Foto: dpa

Erst ging es nur um die Frage, ob deutsche Fußballfunktionäre die WM 2006 gekauft haben. Jetzt geht es um Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall.

Frankfurt - Die Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Frankfurt am Main liegt am Dienstagmorgen in dichten Nebel gehüllt. Es ist kurz vor neun Uhr, als zwei Dutzend Steuerfahnder, Männer und Frauen in Zivil, das Gebäude betreten. Exakt zur gleichen Zeit beginnen ihre Kollegen im nahen Dreieich, in Altendietz in Rheinland-Pfalz und in Aschaffenburg mit der Durchsuchung dreier Privathäuser. Im Mittelpunkt: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, sein Vorgänger Theo Zwanziger und der ehemalige DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt.

Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall lautet der Verdacht der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Viel Zeit haben die Steuerfahnder mitgebracht, stundenlang werden sie suchen und am Ende Akten, Computer und Festplatten zur Auswertung mitnehmen.

Wenn die Beamten in den kommenden Wochen finden, wonach sie suchen, könnten sie Klarheit schaffen über den noch immer nebulösen Verwendungszweck jener 6,7 Millionen Euro, die 2005 vom DFB an den Fußball-Weltverband Fifa flossen.

Blatter behauptet, eine Anschubfinanzierung habe die Fifa nie verlangt

Hat das deutsche WM-Organisationskomitee (OK) tatsächlich Mitglieder der Fifa-Exekutive bestochen, um sich deren Stimmen bei der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 zu sichern? So will es Theo Zwanziger vom damaligen OK-Mitglied Günter Netzer erfahren haben. Oder waren die 6,7 Millionen eine Anschubfinanzierung an die Fifa – komischerweise getarnt als Kulturprogramm –, um später selbst vom Weltverband einen WM-Zuschuss in Höhe von 170 Millionen Euro zu erhalten? So beteuert es DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.

Bedenklich für den DFB-Boss: Noch-Fifa-Präsident Joseph Blatter behauptet, eine Anschubfinanzierung habe die Fifa nie von Deutschland verlangt. Überdies hat ein Kulturprogramm im Rahmen der WM 2006 nie stattgefunden.

Zum Verhängnis könnte Niersbach, Zwanziger und Schmidt werden, dass der DFB die 6,7 Millionen Euro als Betriebsausgabe in seiner Steuererklärung 2006 geltend gemacht hat. Zuschüsse zu Kulturprogrammen lassen sich schließlich von der Steuer absetzen, so offenbar die Denke. Für Bestechungsgelder gilt das allerdings nicht.

Es drohen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren

Und so ist aus der kontrovers diskutierten Moralfrage um Korruptionsbräuche unter internationalen Sportfunktionären nun ein Fall für die deutschen Steuerfahnder geworden. Wer trägt die Verantwortung für die Überweisung, und wo genau landete das Geld am Ende?

Die mutmaßlich hinterzogene Summe an Körperschafts- und Gewerbesteuer sowie Solidaritätszuschlag dürfte nach pauschaler Schätzung bei etwa einem Drittel der 6,7 Millionen Euro liegen. Nach der üblichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Bewährungsstrafe bei Steuerhinterziehung jenseits von einer Million Euro nicht mehr infrage. Und weil Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen erst nach zehn Jahren verjährt, droht den drei Beschuldigten eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren.

„Man muss jetzt sehen, ob die Beweismittel überhaupt noch da sind oder ob das nur ein Schlag in den Nebel war“, relativiert derweil Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft. „Es würde mich nicht wundern, wenn Unterlagen verschwunden sind.“

Niersbachs Parklatz bleibt am Dienstag leer

Auf dem Parkplatz vor dem DFB-Hauptquartier ist das Sommermärchen in einer haushohen Skulptur verewigt. Ein gläserner Fußball, grünlich schimmernd, soll an die Wochen der Ausgelassenheit, der kollektiven Jubelstürme erinnern, an die großartigen Gastgeber aus Deutschland. So hat es sich der österreichische Künstler Andre Heller vorgestellt. Knapp zehn Jahre nach Fertigstellung haben Flugrost, Flechten und Vogelkot das Kunstwerk befallen. Es passt ins Bild, dass der Glanz einer gewissen Ernüchterung gewichen ist.

Der persönliche Parkplatz von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, gleich neben dem Eingang gelegen, bleibt an diesem Dienstag leer. Wann der DFB-Boss wiederkommt und wie lange er dann bleibt, ist ungewiss. Das DFB-Präsidium hat zwar in den vergangenen Tagen immer wieder betont, es wolle die Aufklärung der Sommermärchen-Affäre gemeinsam mit Niersbach fortsetzen. Aus den einzelnen Landesverbänden werden jedoch immer mehr Stimmen laut, Niersbach schade als unmittelbar Betroffener dem Ansehen des DFB. Jetzt, da mit den offiziellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eine weitere Eskalationsstufe erreicht ist, kann der Druck auf den damaligen Pressesprecher des WM-Organisationskomitees kaum noch steigen. Ein Rücktritt scheint nur noch eine Frage der Zeit.

Beckenbauer gilt als Dreh-und-Angel-Punkt des Skandals

Niersbachs Vorgänger Theo Zwanziger ist für einen Großteil dieses Drucks verantwortlich. Der 70-Jährige hält die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft für einen wichtigen Schritt zur Wahrheitsfindung, wenngleich er selbst von der Razzia der Steuerfahnder betroffen war. „Ich bin froh, dass es so gekommen ist. Ich habe gar keine Sorgen in diesem Zusammenhang. Ich weiß, dass ich die Wahrheit sage, dass ich nichts zu befürchten habe“, ließ Zwanziger am Dienstag über seinen Anwalt mitteilen. Am Montag hatte der Ex-Präsident dem DFB in einem Brief noch einige Ratschläge gegeben. Der Verband solle finanzielle Ansprüche gegenüber OK-Chef Franz Beckenbauer prüfen, der die mutmaßlichen Bestechungsmillionen im Jahr 2002 vom damaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus geliehen haben sollen.

Gegen Beckenbauer, der als Dreh-und-Angel-Punkt des Skandals gilt, wird derzeit allerdings nicht ermittelt. Mögliche Tatvorwürfe wie Untreue oder die Bestechung von Fifa-Funktionären vor der Vergabe der WM sind laut Frankfurter Staatsanwaltschaft bereits verjährt.

Der DFB will mit den Ermittlern kooperieren

Zwanziger kritisiert auch die interne Untersuchung des DFB: „Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die vom DFB veranlassten Aufklärungsmaßnahmen objektiv und unabhängig sein können.“ Einerseits sei Wolfgang Niersbach als Intimus von Franz Beckenbauer noch immer im Amt. Andererseits bestünden persönliche Kontakte zwischen Mitarbeitern des DFB und der mit der Prüfung beauftragten Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer.

Vor dem Hauptsitz des DFB warteten am Dienstag ganze Scharen von Fotografen und Kamerateams vergeblich auf eine persönliche Stellungnahme von Niersbach. Der Fußball-Bund ließ in einer Mitteilung wissen, er werde mit der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft kooperieren. Der Nebel hatte sich da schon verzogen, und die Sonne schien erbarmungslos auf das mitgenommene Denkmal des Sommermärchens.