Um einen solchen irakischen Pass ging es: Schleuser wollten doppelte Geschäfte machen. Foto: dpa

Man kann seine Opfer auch doppelt abzocken – das dachte wohl ein mutmaßliches Mitglied einer Schleuserbande. Der Mann wollte bei einer irakischen Flüchtlingsfamilie zweimal kassieren – und sitzt nun als Erpresser hinter Gittern. Er ist selbst Asylbewerber.

Stuttgart - 3000 Euro sollten am Stuttgarter Hauptbahnhof den Besitzer wechseln - dann hätte ein 38-jähriger Iraker, der im Juli 2015 mit Frau und vier Kindern über Schleuser nach Deutschland kam, seine Pässe wieder. Seit Monaten waren die Personaldokumente als Pfand in den Händen einer Schleuserbande, bis Mitte Februar ein Landsmann per Handy anrief und die Rückgabe in Aussicht stellte. Aber eben nur gegen eine Gebühr von 3000 Euro.

Der Betroffene machte diesen Fall von Erpressung nicht mit – und wandte sich an die Polizei. Die Beamten stellten dem Unbekannten eine Falle, die am Dienstag dann auch zuschnappte. Im Hauptbahnhof klickten zur Mittagszeit die Handschellen. Und es stellte sich heraus: Bei dem Täter handelte es sich ebenfalls um einen Flüchtling – einen 48-jährigen Iraker.

Der Täter ist selbst Flüchtling

Steckt der Asylbewerber mit einer Schleuserbande unter einer Decke? Oder tut sich da ein dunkles Geschäftsfeld mit herrenlosen Pässen auf? „Es ist noch völlig unklar, wie er an die Pässe gekommen ist“, sagt Polizeisprecher Tobias Tomaszewski. Ob der 48-Jährige direkt an der Schleusung der Familie beteiligt war oder sich später nur in den Handel mit Pässen einschaltete – alles ist derzeit möglich.

Der 48-Jährige ist selbst als Flüchtling illegal ins Land eingereist. Im Juni 2015 stellte er in Deutschland einen Asylantrag – einen Monat bevor seine Opfer sich auf den Weg gemacht hatten. Die sechsköpfige irakische Familie kam im Juli 2015 über die Türkei nach Westeuropa, musste dafür nach eigenen Angaben mehrere Tausend Dollar bezahlen. Die Pässe mussten bei den Schleusern abgegeben werden.

Dass der 48-Jährige unter den Schleusern in der Türkei war, gilt als eher unwahrscheinlich – zumal er sich seit Juni in Deutschland aufhielt. Und doch muss es eine Verbindung gegeben haben. Zuletzt lebte der 48-Jährige in der größten Flüchtlingsunterkunft der Stadt mit über 600 Plätzen in der Nähe des Stadtzentrums. Bei einer richterlich abgesegneten Durchsuchung seiner Unterkunft wurden mehrere Unterlagen und verschiedene Handys beschlagnahmt. „Das muss jetzt erst einmal alles ausgewertet werden“, sagt Polizeisprecher Tomaszewski. Am Mittwoch erließ ein zuständiger Richter Haftbefehl.

Unerlaubte Einreise: Fälle nehmen deutlich zu

Die Ermittlungen werden vom Kripo-Dezernat 21, zuständig für Raub und Erpressung, geführt, nicht von den Spezialisten für Schleusung und illegale Beschäftigung. Die Beweislage in Sachen Erpressung ist habhafter als der Vorwurf wegen Schleusung. „Strafrechtlich gibt sich das aber nicht viel“, sagt Staatsanwaltssprecher Jan Holzner. Sowohl beim Tatbestand Einschleusen von Ausländern als auch bei Erpressung drohen, sofern nicht banden- und gewerbsmäßig begangen, bis zu fünf Jahre Haft.

Dabei ist die Zahl der unerlaubten Einreisen 2015 wieder „deutlich gestiegen“, sagt Bundespolizei-Sprecherin Cora Thiele. Im Bereich der Bundespolizeiinspektion Stuttgart, die für Württemberg zuständig ist, nahm die Zahl der Fälle von 1629 auf 4856 zu. Gleichzeitig wurden weniger Schleusungen aufgedeckt. In Baden-Württemberg sank die Zahl von 137 auf 99 Fälle.

Kein Wunder: Die Flucht wird mittlerweile in sozialen Netzwerken zum Selbermachen angeboten, mit allen Wegbeschreibungen. Schleuser mit Sitz im Bundesgebiet übernehmen nur noch eine letzte Etappe.