Wenn es um die Türkei geht, ist Mustafa Yeneroglu schon Dauergast in den deutschen Talksendungen – als Anwalt von Präsident Erdogan. Foto: dpa

Der türkische Präsident beherrscht infolge der gescheiterten Revolte auch die erste TV-Talkshow nach der Sommerpause. Seine Verteidiger dürfen bei „Hart aber fair“ kuriose Ansichten äußern: über Erdogan selbst, die Verhaftungen, die deutschen Medien und den „Doppelpass“.

Stuttgart - Ein sicheres Zeichen, dass das politische Berlin seinen Betrieb wieder aufnimmt, ist der Neustart der Fernsehtalks nach der Sommerpause. Den Auftakt machte „Hart aber fair“ (ARD), im September folgen „Maybrit Illner“ (ZDF) und „Anne Will“ (ARD). Man hätte ja fast etwas vermisst. „Halbmond über Deutschland – wie viel Erdogan verträgt unser Land?“, fragte Frank Plasberg. So scheint sich in den Wochen seit dem Putschversuch in der Türkei nicht viel getan zu haben: „Erdogans Rache“ (Illner) und „Was macht Erdogan jetzt?“ (Will) waren die letzten Talks vor der Pause betitelt.

Der „ideologische Tunnelblick“ der Medien

Schon damals war Mustafa Yeneroglu mit im Bunde. Dem Abgeordneten der Regierungspartei AKP scheint die Rolle des Erdogan-Generalanwalts zuzufallen – kein Türke ist häufiger zu sehen und zu hören, wenn es um die Aufarbeitung des Putschversuchs geht. Ausgerechnet Yeneroglu beklagt eine „einseitige Berichterstattung“ in Deutschland, die die Wirklichkeit in seiner Heimat nicht wiedergibt und die dazu führe, dass seine verängstigten Landsleute schon „angepöbelt“ würden. Immer wenn es um Islam, Muslime und die Türkei gehe, zeigten die deutschen Medien einen „ideologischen Tunnelblick“ und „missionarischen Eifer“ – womit der AKP-Mann eine bemerkenswerte Parallele erkennen lässt zu den „Lügenpresse“-Vorwürfen der Rechtspopulisten hierzulande. So wird denn auch minutenlang darüber geredet, ob die deutsche Medienlandschaft von oben gesteuert sein könnte, obwohl dies niemand in der Runde behauptet hat. Immerhin bekennt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD): „Ich traue unserer Presse mehr zu.“

Auch ein Wort des Lobes darüber, dass die Türken ihre Auseinandersetzung unter dem Schutzschild des hiesigen Demonstrationsrechts auf deutschen Plätzen und Straßen austragen dürfen, kommt ihm nicht über die Lippen. Yeneroglu ist zudem Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, was ihn aber nicht dazu motiviert, die „Säuberung“ seines Präsidenten ein wenig kritisch zu sehen. Menschenrechtsverletzungen scheint es demnach nicht zu geben. Im Gegenteil: Nach 250 Toten beim Putschversuch sei der Rechtsstaat „dazu verpflichtet, loszuschlagen“ und das „geheime Netzwerk“ der Gülen-Bewegung zu vernichten, rechtfertigt er die Massenverhaftungen und -entlassungen. Immerhin bekennt er vorsichtig, gegen die Todesstrafe zu sein – er sei überzeugt davon, „dass sie nicht kommt“. Und wenn, dann gebe es ein „Rückwirkungsverbot“ in der türkischen Verfassung, so dass „sie nicht auf die Putschisten angewandt werden kann“.

Der Soap-Star vom Bosporus kennt den Präsidenten gut

Weil ein Erdogan-Sprecher nicht genug zu sein scheint, hat Plasberg die Schauspielerin Wilma Elles eingeladen, ebenso eine Deutsch-Türkin. Ihre türkische Staatsangehörigkeitsurkunde wurde von diversen Ministern und Erdogan selbst unterschrieben. Denn Elles ist am Bosporus ein Star der Soap-Reihe „So wie die Zeit vergeht“, die Einschaltquoten hat, von denen Plasberg nur träumen kann. Auch war sie schon von der Familie Erdogan zum Fastenbrechen eingeladen, was sie kuriose Ansichten äußern lässt – über den Staatspräsidenten vor allem: „Es gibt niemanden, der mehr arbeitet“, weiß die gebürtige Kölnerin. Auch sie zeigt sich „traurig über die verzerrte Darstellung“ der deutschen Medien. Die Verhaftungen rechtfertigt sie forsch: Sie seien wichtig gewesen, um einen „zweiten Putschversuch“ zu verhindern. Doch seien die Menschen „in guten Bedingungen verhaftet worden sind, also nicht zu schlimm“. Sie hoffe, dass die Unschuldigen nach der Untersuchungsphase „sofort wieder freigelassen werden“. Immerhin hätten Türken, die Erdogan via Twitter kritisiert hätten, später mit ihr beim Staatsfernsehen in einer Serie gespielt.

Immer wieder hält es Elles kaum auf ihrem Stuhl, weil sie nicht so oft reden darf, wie sie gerne möchte. Dabei hätte man gerne mehr Ansichten gehört wie die, dass die Deutschen eher Einzelkämpfer seien, die Türken jedoch das Gruppengefühl pflegten – weshalb es normal sei, dass dort „ganze Gruppen verhaftet worden sind“. Dies lässt den ansonsten geduldigen Plasberg dazwischen rufen, dass dies eine „steile These“ sei. Doch Elles hat ein sonniges Gemüt: Man sollte doch die Chancen sehen, rät die Schauspielerin und nicht immer sagen, wie schlimm alles sei.

„Keine attraktivere Staatsbürgerschaft als die deutsche“

Jens Spahn ist nicht als Staatssekretär beim Bundesfinanzminister eingeladen, sondern als einer der CDU-Abgeordneten, die auf Distanz zu allen Türken gehen. Zudem hat er offenbar vor, Wolfgang Bosbach als Talkshow-König seiner Partei abzulösen. Spahn ist – anders als der Bundesinnenminister – für die Abschaffung des „Doppelpasses“, weil er die türkischen Mitbürger in einem Loyalitätskonflikt sieht. Und „es gibt keine attraktivere Staatsbürgerschaft als die deutsche“, jubiliert der CDU-Politiker. Das wird selbst der zurückhaltenden Malu Dreyer zu viel: „Sie erfinden die gespaltene Loyalität“, kontert sie. Es gebe keinen wissenschaftlichen Hinweis dafür, dass der Doppelpass die Integration behindere – was ein Widerspruch zur der zuvor geäußerten Ansicht ist, dass junge Türken sich hier als „Bürger zweiter Klasse“ fühlten und Erdogan deswegen so sehr mögen.

Wilma Elles gibt zum Besten, dass sie sich erst mit dem türkischen Pass in der Türkei integriert fühle. Erst jetzt habe sie Möbel gekauft und sei sesshaft geworden in Istanbul – habe aber auch schon dreimal den Bundespräsidenten Joachim Gauck getroffen. Auch Mustafa Yeneroglu lebt mit doppelter Staatsbürgerschaft derzeit in der Türkei, möchte aber sich auch mal wieder in Köln heimisch fühlen, wenn ihm danach ist. Die Türkei als Mutterland und Deutschland als Vaterland zu bezeichnen, damit hat er kein Problem.

Das Volk zeigt sich populistisch

Weil weder Spahn noch Dreyer noch der Journalist Christoph Schwennicke allzu heftige Kritik an Erdogan üben wollen und auch der 27-jährige Medizinstudent Emre Yavuz differenziert argumentiert („Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass man loyaler ist, wenn man gezwungen wird, eine Staatsbürgerschaft abzugeben“), kommen die populistischen Töne vom Volk selbst. Zuschauer-Sprecherin Brigitte Büscher trägt fast ausschließlich anti-türkische Stimmen vor, weil diese in den ersten Reaktionen auf Facebook offenbar deutlich überwiegen. Wie das zur These Yeneroglus von einer einseitigen Medienlandschaft passt, lässt sich danach nicht mehr klären. Aber es werden noch etliche Talksendungen mit Erdogan gefüllt werden – der türkische Konflikt ist längst auch ein deutscher geworden.