Den Lehrer kann Ministerpräsident Kretschmann einfach nicht verleugnen Foto: dpa

Bloß nicht einmischen, lautet die Devise von Ministerpräsident Kretschmann bei den Nominierungen zur Landtagswahl. Ein paar grundsätzliche Bemerkungen kann sich der Grünen-Politiker dann aber doch nicht verkneifen.

Stuttgart - Kurz vor Ende einer Wahlperiode schlägt stets die Stunde der Basis. Dann vergibt das einfache Mitglied, und sei es ansonsten auch noch so machtlos, die Lizenz zum Kandidieren. Vor allem die Grünen mit ihrem genetisch bedingten Argwohn gegen Autoritäten zelebrieren diesen Akt: Wer in den Landtag will, muss zuerst das Partei-, dann das Wahlvolk überzeugen.

Auch gestandene Minister sind nun plötzlich ganz demütig, denn sobald ein Gegenkandidat die Arena betritt, und das kann bis kurz vor Toresschluss passieren, ist der Ausgang unkalkulierbar. Entsprechend vorsichtig äußern sich zurzeit die Regierungsmitglieder.

„Das ist völlig normal, wir präsentieren uns und werden dann sehen, was dabei herauskommt“, kommentierte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) am Dienstag den Umstand, dass ihr am 17. März der Heidelberger Jurist Dierk Helmken die Landtagskandidatur streitig machen will. Das gehöre dazu, alles völlig demokratisch, bloß kein böses Wort gegen den Mitbewerber, lautet die Devise in ihrer Lage.

Wie heikel so eine Graswurzeldemokratie sein kann, hat erst dieser Tage Alexander Bonde erfahren. Der Minister für ländlichen Raum sagte seine Bewerbung in Freiburg schon drei Wochen vor der eigentlichen Nominierungsveranstaltung ab, weil ihm der Schwarzwälder Wind in Orkanstärke ins Gesicht blies. Dass er den direkt gewählten Abgeordneten Reinhold Pix aus dem Feld schlagen wollte, empfanden viele Grüne nämlich alles andere als normal.

Teufels Rat an Kretschmann

Auch der Ministerpräsident muss sich so einem Mitgliedertribunal stellen, hat bisher allerdings keinen Gegenkandidaten zu fürchten: Am 16. April steht Winfried Kretschmanns Nominierung im Wahlkreis Nürtingen an. Wohlweislich hat der Kreisverband die Nürtinger Stadthalle angemietet, denn es wird mit Medienandrang gerechnet. Geht’s um das Thema Nominierung, bewegt sich aber auch Kretschmann rhetorisch wie auf rohen Eiern.

Er soll seinen Landwirtschaftsminister gebeten haben, die Bewerbung zurückzuziehen? Bei dieser Journalistenfrage muss er nicht eine Sekunde überlegen: „Das trifft nicht zu.“ Nur eine kurze Minute habe das Gespräch gedauert, in dem ihm Bonde seinen Verzicht mitgeteilt habe. Er, Kretschmann, habe großen Respekt vor dieser Entscheidung – aber ein Machtwort? Niemals. „Schon mein Vorgänger Erwin Teufel hat mich davor gewarnt, in irgendeiner Weise in Kandidaturen einzugreifen“, sagt der Regierungschef.

Allenfalls zu einer pauschalen lebenskundlichen Bemerkung lässt er sich hinreißen: „Manche Dinge entwickeln sich einfach so, aus welchen Gründen auch immer, dass man so einen Schritt dann machen muss.“ Ob er Bonde empfiehlt, es in einem anderen Kreisverband erneut zu versuchen? Da beißt sich Kretschmann eher auf die Zunge, als sich zu positionieren. Das müsse Bonde selbst entscheiden. Jedenfalls werde der Minister mit seiner politischen Leidenschaft „eine wichtige Stütze für uns im Wahlkampf sein“ – ob mit oder ohne Mandat.

"Das dauert jetzt lange"

Aber braucht ein Minister überhaupt ein Mandat? Oder wäre es nicht im Sinn der Gewaltenteilung viel sauberer, wenn er als Mitglied der ausübenden Gewalt darauf verzichtete? „Obacht!“, leitet Kretschmann nun die Antwort ein und fügt warnend hinzu: „Das dauert jetzt lange.“ Der frühere Gymnasiallehrer hat zwar nicht Gemeinschaftskunde unterrichtet, doch auch dieses Fach wäre ihm wohl nicht schwergefallen, wie seine Lektion dokumentiert.

„Die Gewaltenteilung, wie wir sie im Gemeinschaftsunterricht lernen, ausgehend vom Herrn Montesquieu, entspricht einfach nicht so ganz der Verfassungswirklichkeit in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland“, hebt Kretschmann an.

Die Erfahrung zeige einfach, dass dieses System, bei dem die Regierungsfraktionen die Regierung tragen, gut funktioniere. Deshalb sei es gut, „wenn doch eine erkleckliche Anzahl von Ministern der Regierungsfraktion angehört“.

Das erleichtere einfach das Regieren. Und es erleichtere auch der Opposition ihre Aufgabe, ihre Rolle fundiert wahrzunehmen. Die Kontrolle der Regierung obliege ja ohnehin in besonderem Maß der Opposition – auch wenn, das sei zugegeben, die Verfassung dem Parlament insgesamt die Kontrollaufgabe zuweise. Aber in der Realität sei das eben gespalten.

Sein Fazit: „Das ist einfach der Ausdruck der Verfassungswirklichkeit, sie hat sich bewährt, und ich sehe jetzt keinen Grund, dass das geändert werden müsste, so leid es mir für den Herrn Montesquieu auch tut.“

Mag die Ministerin im Staatsministerium, Silke Krebs, es auch als hilfreich empfinden, kein Mandat zu haben, weil sie dann keine Wahlkreisinteressen berücksichtigen muss – für Ressortminister sei ein Parlamentsmandat ein Gewinn: „Es stärkt sie einfach, wenn sie verankert sind, in ihren Aktionen.“ Bonde wird das interessiert gehört haben.