Bleibt Griechenland in der Eurozone? Oder wird die Unions-Idee in die Tonne getreten? Foto: dpa

Das erbitterte Ringen um eine Lösung für Griechenland scheint so nah – und doch so unerreichbar.

Brüssel - Es ist ein gewaltiges Erdbeben, dass an diesem Donnerstagvormittag Europa erschüttert. Das Epizentrum liegt im Brüsseler Büro von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. „Grexit“, das Wort für ein Aus Griechenlands in der Euro-Zone, fällt in diesem Raum zum ersten Mal. Seit sechs Uhr sitzen die Fachleute von Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) zusammen. Um neun Uhr kommen Juncker, IWF-Chefin Christine Lagarde, EZB-Präsident Mario Draghi und weitere Berater mit dem griechischen Premier zusammen. Um halb elf platzt den Geldgebern der Kragen.

Lagarde zieht eine eigene Reformliste aus der Tasche und hält sie dem hellenischen Ministerpräsidenten unter die Nase. „Diese Liste oder keine“, habe sie gesagt, heißt es später. Sollte Tsipras bis elf Uhr nicht zustimmen, werde der IWF die Finanzminister der Eurogruppe am Mittag auffordern, den Grexit zu beschließen. Das Drama um die Rettung Griechenlands hat Züge eines Krimis angenommen. Das Ultimatum verstreicht. Kurz vor zwölf schicken die Geldgeber die Lagarde-Liste an die Euro-Minister. Das wiederum lässt Tsipras nicht auf sich sitzen und übermittelt der Eurogruppe eine eigene Aufstellung mit Reformen, auf die man sich festlegen will. „Es wurden keine Fortschritte gemacht“, sagt ein sichtlich genervter Wolfgang Schäuble. Der Bundesfinanzminister meint, die Athener Spitze solle „jetzt mal langsam ihren Landsleuten sagen, was hier auf dem Spiel steht“.

Noch zwei Stunden bis zum Beginn des EU-Gipfels, der eigentlich alles klar machen sollte. Dabei haben sich beide Seiten durchaus bewegt. So waren die Geldgeber erstmals bereit, auf tiefe Einschnitte bei den Renten zu verzichten, das Eintrittsalter in den Ruhestand hätte Tsipras erst 2023 auf 67 Jahre anheben müssen. Am Ende zeigen sich die Institutionen sogar bereit, auf „soziale Kürzungen zu verzichten“, wenn die Regierung dafür andere Vorschläge mache, die eine „gleiche haushaltspolitische Wirksamkeit“ entfalten. So weit war vor allem der IWF Athen noch nie entgegengekommen. Auch Tsipras hat sich inzwischen von seinen Syriza-Parteifreunden Rückendeckung für Zugeständnisse geholt.

Doch der Durchbruch bleibt aus. Zum einen lehnt die griechische Regierung eine Anhebung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent für Restaurants und Hotels ab, weil dies dem Tourismus schaden würde. Vor allem aber bleibt der Grieche im vielleicht wichtigsten Punkt hart: Der Athener Premier besteht zwar nicht auf einem „Schuldenschnitt“, das Wort ist inzwischen tabu, wohl aber auf einer Umstrukturierung der Schulden. Konkret soll der ESM-Rettungsschirm übernehmen, was Athen dem IWF wieder zurückzahlen muss – bisher gut 32 Milliarden Euro. „Das ist ein drittes Hilfsprogramm durch die Hintertüre“, weist der österreichische Kassenwart Hans Jörg Schelling die Idee zurück. Schließlich lehnen die Geber ab, die Finanzminister auch. „Die Griechen beißen einfach nicht an“, sagt ein hoher EU-Diplomat.   

Es ist inzwischen Mittag geworden – und niemand weiß, wer in diesem Krimi noch Regie führt. Vermutlich liest auch niemand von den handelnden Figuren eine kleine Nachricht, die ein Mann namens „Nikos“ via Twitter verbreitet und darin schon fast inständig bittet: „Ihr da in Brüssel, vergesst bitte nicht, dass es um mich geht, um meine Kinder, meine Eltern, meine Frau. Wir wollen doch nur leben können.“ Ein anrührender Appell, der im  Brüsseler Räderwerk untergeht. „Es ist mir unbegreiflich, wie gedankenlos die griechischen Vertreter im Finanzministerrat mit ihrem Volk umgehen“, twittert Schelling aus den Beratungen.

Während die Eurogruppe in die Beratungen der beiden Papiere eingetreten ist, kommen die ersten Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel nebenan vor dem Ratsgebäude an. Es hagelt Appelle für eine Lösung, die vor allem in eine Richtung gehen: Griechenland muss sich bewegen. „Ich glaube daran, dass die Geschichte ein Happy End haben wird“, gibt sich Ratspräsident Donald Tusk zuversichtlich. Doch danach sieht es ganz und gar nicht aus.

Tsipras hat inzwischen mit dem griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos telefoniert – eine Geste, die Beobachter als schlechtes Zeichen werten. Wenig später kommt dem Griechen ein weiterer Hoffnungsschimmer abhanden: Die deutsche Kanzlerin ist angekommen. „Wie ich höre, hat es sogar Rückschritte bei den griechischen Positionen gegeben“, sagt Angela Merkel. Und sie macht klar, dass die griechische Seite nicht wieder auf eine Vermittlung der Staats- und Regierungschefs hoffen soll: „Das ist jetzt Sache der Finanzminister“, betont Merkel.

Was sie damit auch sagt: Sollte Tsipras auf einen weiteren nächtlichen Gipfel mit den Chefs der Euro-Zone setzen und die Eurogruppe nur als Spielfeld für neues Pokern nutzen wollen, liegt er falsch. Wenig später beenden die Finanzminister ihre Sitzung. Geldgeber und Griechen müssen nachsitzen. „Wir kommen wieder, aber nicht mehr heute“, erklärt Finnlands Kassenwart Alexander Stubb.