Gewerkschaftschef Frank Bsirske geht in seine fünfte Amtszeit. Foto: dpa-Zentralbild

Andere Gewerkschaften haben mit maßvollen Tarifrunden dazu beigetragen, dass viele neue Jobs geschaffen wurden. Diesen politischen Weitblick lässt Verdi vermissen – es kommentiert Markus Grabitz

Berlin - Eigentlich müsste er abtreten. Beim DGB ist für die Chefs immer mit 65 Schluss. Und auch nach den Maßstäben einer Gewerkschaft, die so erbittert wie Verdi gegen die Rente mit 67 kämpft, ist es ein Unding, was ihr Boss Frank Bsirske macht: Mit 63 hat er sich gerade von den Delegierten eine Verlängerung um vier Jahre geben lassen.

Nun kommt also seine fünfte Amtszeit. Bsirske muss weiter machen. Schon allein, weil er es versäumt hat, einen Nachfolger aufzubauen. Das ist eine schwierige Aufgabe. Es muss sich erst einmal einer finden, der diesen Gewerkschaftssupertanker steuern kann: Verdi streitet für zwei Millionen Mitglieder aus tausend Berufen und trägt permanent gleich an mehreren Fronten Tarifkonflikte aus.

Die zerklüftete Struktur mit 13 unterschiedlichen Fachbereichen bringt es schon mit sich, dass die Dienstleistungsgewerkschaft nicht so stimmig auftritt wie etwa die IG Metall.Auch gibt es in der Maschinenbaubranche mehr zu verteilen als in vielen unter Druck stehenden Dienstleistungssparten. Für den Anführer einer Gewerkschaft ist es nun einmal dankbarer, wenn auf der anderen Seite des Verhandlungstisches Vertreter von Unternehmen sitzen, die glänzend am Exportgeschäft verdienen, als wenn dies notorisch klamme Stadtkämmerer und Innenminister sind.

Bsirske hat sich verzockt

Und dennoch: Bsirske trifft eine große Mitverantwortung dafür, dass Verdi nicht gut dasteht. Das fängt schon in der eigenen Mitgliederschaft an: Allein in den vergangenen Monaten hat Verdi bei Tarifauseinandersetzungen zwei Mal keine gute Figur gemacht. Die Verdi-Führung hat sich beim Post-Streik verzockt, die Verdi-Führung hat sich auch beim Streik der Kita-Erzieherinnen verzockt. Sie hat in beiden Fällen übersteigerte Erwartungen geweckt. Sie hat kein Ausstiegsszenario gehabt, als klar war, dass die überzogenen Erwartungen nicht erfüllt werden können. Bei den betroffenen Mitgliedern sorgt so etwas schon für Unmut und hat dazu beigetragen, dass Bsirske nicht wieder so ein Traumergebnis eingefahren hat wie beim letzten Mal. Gesamtgesellschaftlich ist der Schaden noch größer: Feuerwehrleute, das Pflegepersonal in Altenheimen und andere Berufsgruppen werden nun ebenfalls auf satte Lohnzuwächse pochen. Das Problem dabei ist nur: Diesen Wettlauf um mehr Geld muss am Ende der Bürger in Form von höheren Kita-Gebühren und Steuern bezahlen. Das Verständnis der Bürger für noch höhere Abgaben dürfte sich in Grenzen halten.

Auch dafür trägt letztlich der seit ihrer Fusion amtierende Vorsitzende dieser Gewerkschaft die Verantwortung: Verdi hat sich zusehends zu einem Club entwickelt, in dem sich auffallend viele Gewerkschafter mit dem Parteibuch der Links-Partei pudelwohl fühlen. Hier können sie ihre realitätsfernen Klassenkampf-Parolen pflegen. Der Gewerkschaftskongress beschäftigt sich etwa mit der Forderung nach der Einführung einer 30-Stunden-Woche – selbstverständlich bei vollem Lohnausgleich. Die Delegierten beraten über den Antrag strengerer Ladenöffnungszeiten. Wochentags soll um 20 Uhr Schluss sein, samstags 18.30 Uhr. Wenn die Verdi-Truppen damit durch kämen, würden sich wohl vor allem die Internethändler dieser Welt freuen. Nicht zu vergessen die Forderung, den gesetzlichen Mindestlohn um knapp 50 Prozent auf 12,50 Euro heraufzusetzen. Noch Fragen?

Es gibt Gewerkschaften, die über Jahre den Blick auf die ökonomischen Realitäten gewahrt und einen großen Beitrag zum beispiellosen Aufbau von Beschäftigung geleistet haben. Verdi lässt diesen politischen Weitblick vermissen.

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