Gerlinde Kretschmann beim Fischefüttern Foto: Krause

Dienstreisen, wie sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann derzeit in Japan und Südkorea unternimmt erlebt seine Frau Gerlinde nicht als Touri-Trip gedacht. Sie wissen, was die Menschen jenseits der Ministerien bewegt.

Kyoto - Es ist ein Termin, ganz nach dem Geschmack von Gerlinde Kretschmann. Hier draußen, am Stadtrand von Kyoto, gibt es kein Blitzlichtgewitter, keinen roten Teppich, keine Zwänge der Protokollabteilung, wann sie wo stehen muss. Gerade eben hat sie mit ihrem Mann einen Priester getroffen. Sie haben sich über den Zen-Buddhismus unterhalten, also jene Thematik, die ihr Mann Winfried einst im Ethik-Unterricht den Schülern nähergebracht hat. Nun spaziert sie durch den Park des Heian-Schreins. „So einen Garten hätte ich auch gerne“, sagt die 65-Jährige und ergänzt schmunzelnd: „Aber dann bräuchte ich auch ein paar Gärtner“. Dann zückt sie ihren Foto und macht unzählige Bilder. Von Blumen. Von Schildkröten. Von uralten Bäumen. Ihr Mann steht daneben und wirkt doch abwesend. „Wenn wir wieder daheim sind, zeige ich Dir alle Bilder der Reise. Dann weiß Du wenigstens, dass Du in Japan warst.“ Dabei lacht sie so herzlich, dass ihre Locken wippen. Aber sie trifft doch mitten ins Herz eines Problems: Die Fülle von Terminen auf solchen Reisen ist so groß, dass Ministerpräsidenten außer Konferenzsälen selten etwas über Land und Leute erfahren.

Nun sind solche Dienstreisen, wie sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann derzeit in Japan und Südkorea unternimmt, nicht als Touri-Trip gedacht. Aber Gerlinde Kretschmann geht nicht shoppen, legt sich auch nicht in den Liegestuhl. Sie will wissen, was die Menschen jenseits der Ministerien bewegt, welche Sorgen und Erwartungen sie haben. Dabei kommt sie nicht im schicken Business-Anzug daher, sondern als normale Besucherin. Das Damenprogramm einer solchen Reise ist für sie kein Pflichtprogramm. Sie fragt nach. So wie in Tokio, wo sie eine Klink für Alzheimerpatienten und Demenzkranke besucht. Das Thema: die alternde Gesellschaft. „Die Probleme hier sind ähnlich wie bei uns“, stellt sie schnell fest. Hohe Kosten, schlechte Bezahlung der Krankenschwestern und Pfleger. Nach 90 Tagen stationärem Aufenthalt, erzählt ihr der Klinikchef, hätten die Patienten die Wahl: Entweder ins Alten- und Pflegeheim nebenan. Oder nach Hause. Das Problem: Obwohl die Japaner eine hohe Lebenserwartung haben – bei den Frauen 86,3 Jahre, bei den Männern 79,5 Jahre – , schaffen es viele Familien nicht, die Angehörigen daheim zu betreuen. „Wir bräuchten noch viel mehr Plätze, um die Nachfrage zu erfüllen“, sagt der Klinikchef.

Besuch in einer Alzheimer-Klinik

Gerlinde Kretschmann, die sich in Deutschland für die Alzheimer-Gesellschaft engagiert, fühlt sich bestätigt: „Unsere Gesellschaft wird immer älter, aber in vielen Bereichen sind wir noch nicht darauf eingestellt.“ Diese Frau weiß, was Alltag heißt. Drei Kinder hat sie groß gezogen, war Grünen-Gemeinderätin in Sigmaringen. Jetzt ist Gerlinde Kretschmann in einer Rolle, die sie nicht erwartet hatte. Aber die pensionierte Lehrerin bleibt offen, unbekümmert, hilfsbereit. „Haben Sie was gegessen, soll ich Ihnen was holen?“, fragt sie besorgt, wenn jemand aus der Delegation ihres Mannes der Magen knurrt. Die Bodenständige kennt keine Berührungsängste. In einer typisch japanischen Kneipe setzt sie sich wie alle auf den Boden und bringt sich das Essen mit Stäbchen bei. „Jetzt klappt’s“, ruft sie irgendwann und zerlegt den Pfannkuchen.

Gerlinde Kretschmann ist wissbegierig und weltoffen. So wie bei einer Teezeremonie. Da lässt sie sich erklären, warum man etwas Süßes essen sollte, bevor man die Schale mit dem grünen Tee langsam in der Hand dreht und den bitteren Inhalt trinkt. Als sie sich von den Damen im Kimono verabschiedet, meint sie: „Das war sehr beeindruckend.“ Dann bleibt sie plötzlich stehen: „Hören Sie mal, wie hier die Vögel singen.“ Ihre Botschaft: Vor lauter Alltagslärm sollte man nicht verlernen, in die Natur zu hören.

Neugierig, charmant und knitz

So erlebt Gerlinde Kretschmann die Dienstreise ihres Mannes auf eine ganz eigene Art: Neugierig, charmant, manchmal auch knitz. Als sie in Tokio einen Sumo-Kampf besucht, um die Kultur dieses Sports kennen zu lernen, ist sie trotz der überschaubaren Dramatik begeistert. „Ich finde das total interessant. Ich bin doch katholisch und mit Ritualen aufgewachsen.“ Dann schaut sie von der Tribüne hinunter in die Arena, wo sich die Kolosse minutenlang tief in die Augen schauen, auf ihren Kampf einschwören, der dann freilich nur Sekunden dauert. Zwischendurch greifen fleißige Helfer immer wieder zum Besen und kehren den Sand – wohl gemerkt mit einer Hand. „Die Kehrwoche gibt’s hier auch, aber eine schwäbische Hausfrau würde nie mit einer Hand fegen“, entfährt es Gerlinde Kretschmann, ehe sie mit ihrem trockenen Humor anmerkt: „Man kann nicht sagen, dass das hier besonders fetzig ist.“ Dennoch hätte sie gerne „noch eine Stunde länger zugeschaut“. Doch sie muss los. Das Protokoll ruft. Sie begleitet ihren Mann zu einem offiziellen Termin. Vielleicht wird sie wieder als „Frau Präsidentin“ begrüßt. Was sie ihm vom Sumo-Kampf erzählen wird? „Ich werde ihm sagen: Du bist mir doch der Liebste.“ Und dann lacht sie wieder das Gerlinde-Kretschmann-Lachen.