Der Weg in den Westen führte im Herbst 1989 für Tausende DDR-Flüchtlinge über Prag. Bei der Erinnerung daran kommen vielen Zeitzeugen heute noch Tränen. Es war praktisch der erste Stein, der aus der Mauer gebrochen wurde.
Prag - Mit einem „Fest der Freiheit“ hat Deutschland in Prag an die Ausreise Tausender DDR-Flüchtlinge in den Westen vor genau 30 Jahren erinnert. Die Botschaft öffnete am Samstag ihre Tore für Zeitzeugen und Besucher. Am 30. September 1989 hatte der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher dort, im Palais Lobkowicz, seinen berühmten Halbsatz gesagt, der im Jubel der Menge unterging: „Wir sind gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise... (möglich geworden ist).“
Für viele der Flüchtlinge, die teils wochenlang auf dem überfüllten Botschaftsgelände ausgeharrt hatten, war es eine „Befreiung“. Sie waren über den Zaun geklettert, hatten alles zurückgelassen: Familie, Trabis, Geld, um in den Westen zu kommen.
Rudolf Seiters, der damals als Kanzleramtschef an der Seite Genschers auf dem Balkon stand, sagte nun: „Das war praktisch der erste Stein, der aus der Mauer gebrochen wurde.“ Die schwer gesicherte Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten fiel wenige Wochen später, am 9. November 1989.
Zeitzeugen kämpfen mit den Tränen
Gemeinsam mit einem der damaligen Flüchtlinge, dem Musiker Markus Rind, enthüllte Seiters am Bahnhof Prag-Liben eine Gedenktafel. Darauf heißt es: „Die Züge in die Freiheit waren ein wichtiger Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands und zur Überwindung der Teilung Europas.“ Insgesamt konnten zwischen dem 30. September und dem 4. Oktober 1989 rund 13.000 DDR-Bürger von Prag aus mit Sonderzügen in die Bundesrepublik ausreisen.
Hilmar Zander war damals unter den Flüchtlingen in der Botschaft, gemeinsam mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern. „Die Emotionen kommen hoch“, sagte der 65-Jährige. Er berichtete von den engen und unhygienischen Verhältnissen, sagte aber auch: „Es hat sich gelohnt.“ Ein anderer Zeitzeuge kämpfte mit den Tränen. Man habe Angst gehabt, dass die Züge nicht in die BRD, sondern in sowjetische Lager führen, sagte Frank Schröter. Doch Seiters war schon damals überzeugt: „Das hätte sich die DDR nicht getraut.“
Menschen in Not die Hand reichen
Junge Menschen aus Deutschland und Tschechien konnten sich auf dem Botschaftsgelände einen Eindruck machen, wie es ausgesehen hatte. Das Rote Kreuz baute originalgetreue Katastrophenschutz-Zelte auf, es gab Essen aus der Gulaschkanone. Herbert Schmitz, ein ehrenamtlicher Helfer aus Euskirchen, teilte nach 30 Jahren wieder Brotscheiben aus. „Wir haben im Prinzip 24 Stunden durchgekocht, weil die Leute hier Schlange standen“, erinnert er sich. Das sei für ihn und seine Kollegen auf jeden Fall ein einschneidendes Erlebnis gewesen.
Doch welche Lehren bietet die Geschichte für heute? Eine sei, dass Nationalstaaten die Probleme allein nicht lösen können, ist der CDU-Politiker Seiters überzeugt. Markus Rind, damals Flüchtling und heute Intendant der Dresdner Sinfoniker, meint: „Wir sollten auch den Menschen in Not die Hand reichen.“