Christian Onuchukwu ist seit seiner Geburt gehörlos und kann nicht verständlich sprechen. Trotz der Behinderung geht er seiner Leidenschaft, dem Fußballspielen, in der Stuttgarter Bezirksliga nach.
Viele Fußball-Torhüter sind für ihr lautes Sprachorgan bekannt. Oft schreit der Schlussmann seine Vorderleute an: „Raus“, „Konzentriert euch“ oder „Schiebt rüber“. Der Spieler im Tor des Bezirksligisten TSV Rohr gibt derweil keine akustischen Signale, denn Christian Onuchukwu ist gehörlos und kann nicht wirklich sprechen, weshalb er normalerweise Gebärdensprache verwendet, um mit anderen Menschen zu kommunizieren.
Auf dem Fußballfeld trifft er Absprachen mit seinen Mitspielern per Gesten. Ist ein Abwehrspieler anspielbereit, hebt dieser die Hand und winkt. Das klare Signal für Onuchukwu, dass er den Pass spielen kann. „Es kommen manchmal Missverständnisse vor, da ich nicht sauber sprechen kann, kann ich den Abwehrspielern keine klaren Informationen geben“, antwortet der 27-Jährige per Textnachricht auf eine Frage unserer Redaktion. „Für mich ist der Augenkontakt wichtig, um dann mit kurzen Gesten meine Kollegen zu informieren. Oder mein Trainer unterstützt den Abwehrspieler.“
Mehrmals wöchentlich Pendeln zwischen Freiburg und Stuttgart
Jener Coach, Fabio Lapeschi, ist von Onuchukwus Qualitäten am Ball fasziniert. „Chris spielt sehr gut mit und ist auch auf der Linie stark“, sagt der Rohrer Übungsleiter. Zudem sei sein Keeper „ein ganz lieber und netter Kerl, der immer fröhlich und lachend unterwegs ist. Im Training gibt er immer Vollgas“. Onuchukwu, seit der Geburt gehörlos, wohnt in Freiburg, pendelt aber für Spiele und eine Übungseinheit pro Woche nach Stuttgart. Auch seine Partnerin und Freunde wohnen in der Landeshauptstadt, wo der ausgebildete Bauten- und Objektbeschichter aktuell nach einer Arbeitsstelle sucht.
Seit dem Winter ist der Deutsch-Nigerianer beim TSV Rohr die Nummer zwei. Weil der eigentliche Stammkeeper Ulrich Staudenmayer berufsbedingt nur noch selten zugegen ist, kommt Onuchukwu auf bislang vier Saisoneinsätze. In der Hinrunde absolvierte er zudem eine Partie für die Zweitvertretung der SG Untertürkheim, ehe er in den Süden Stuttgarts wechselte.
Wenn Lapeschi vor dem Spiel die Kabinenansprache hält, sitzt auch Onuchukwu im Spielerkreis. Mit Cochlea-Implantaten in beiden Ohren kann der Torhüter zwar Geräusche wahrnehmen, allerdings keine Worte. Deshalb zeigen ihm die Trainer spezielle Anweisungen nach der Besprechung in Textform auf dem Smartphone. „Ich komme in meinem Alltag zurecht, aber auch ich erlebe ganz oft große Barrieren, wenn ich mit hörenden Menschen kommunizieren will“, erklärt Onuchukwu. Beim Fußball nehmen seine Teamkollegen Rücksicht und respektieren sein Handicap. „Beim TSV Rohr macht es mir sehr viel Spaß. In meiner Zukunft möchte ich Stammkeeper werden, damit ich mich für die nigerianische Gehörlosen-Nationalmannschaft empfehlen kann.“
Onuchukwu war schon bei einer Weltmeisterschaft dabei
Mit dieser reiste Onuchukwu im vergangenen Jahr nach Malaysia zur Weltmeisterschaft. „Ich konnte Spieler aus verschiedenen Ländern kennenlernen. Es war eine tolle Erfahrung, wofür ich dankbar bin“, freut er sich, und hat ein klares Ziel vor Augen: „Nächstes Jahr im November finden die ‚Deaflympics’, eine Olympiade für Gehörlose, in Japan statt. Ich muss meine Leistung noch beweisen, in der Hoffnung, dass ich nominiert werde.“ Auch deshalb will sich der 27-Jährige, der sowohl den deutschen als auch den nigerianischen Pass besitzt, in der Stuttgarter Bezirksliga beweisen.
Lobende Zustimmung von Sportplatz-Besuchern nimmt der Torhüter gerne an. „Ich bin froh, wenn ich positive Kommentare von Zuschauern bekomme. Ich gebe dann immer Bescheid, dass ich nichts hören kann. Sie zeigen mir daraufhin die Daumen hoch, dann weiß ich, dass ich gut war, und das macht mich stolz“, berichtet Onuchukwu. Unter den hörenden Kickern erhält er keine Bevorteilung, vor den Begegnungen sensibilisiert sein Trainer Fabio Lapeschi den Schiedsrichter aber für die ungewöhnliche Situation. Kurios wurde es im Derby gegen den SV Vaihingen vor zwei Wochen. Bei einem langgeschlagenen Ball kam Onuchukwu aus seinem Strafraum heraus und räumte sowohl den Ball, als auch einen Gegenspieler ab. Daraufhin zückte der Unparteiische die gelbe Karte. Der Torhüter war mit der Entscheidung nicht einverstanden, „dann kam von ihm eine Geste, in dem er die Hand in die Höhe reckte, sowie ein Laut, was der Schiedsrichter meiner Meinung nach etwas überspitzt wahrgenommen hat“, sagt Lapeschi. „Da er kaum etwas hört, ist er ab und zu etwas lauter.“ Alle Beschwichtigungsversuche prallten jedoch am Referee ab, weshalb Onuchukwu wegen Schiedsrichterbeleidigung mit der Ampelkarte vom Platz flog.