Weil seine Ministerialen lax mit vertraulichen Hinweisen von Bürgern an den NSU-Untersuchungsausschuss umgingen, werden ihnen künftig solche Informationen vorenthalten.
Stuttgart - Die Vertreter der Landesregierung im NSU-Untersuchungsausschuss erhalten künftig keine Briefe von Hinweisgebern mehr, mit denen sich Bürgerinnen und Bürger an das Gremium wenden. Zudem nehmen die Ministerialen auch nicht mehr an den nichtöffentlichen Sitzungen teil, in denen die Abgeordneten solche Hinweise an den Ausschuss diskutieren. Das vereinbarten die Parlamentarier jetzt.
Sie zogen damit die Konsequenz aus zwei Vorfällen. In dem einen hatte das Innenministerium ein Disziplinarverfahren gegen einen Polizeibeamten eingeleitet, der sich vertraulich an das Gremium gewandt hatte. Die Beamten des Ressorts hatten die E-Mail des unliebsamen Polizisten zum Anlass genommen, gegen diesen beamtenrechtlich zu ermitteln. Im zweiten Fall hatte das Innenressort die Aktennotiz eines dem NSU-Ausschuss zugeordneten Richters unbefugt über das Landes- an das Bundeskriminalamt weitergeleitet. Dieses nutzte den Vermerk über die Befragung eines früheren V-Mannes des Verfassungsschutzes, um den Spitzel zum Verbleib mutmaßlicher Beweismittel zu befragen.
Mitarbeiter der Landesregierung sind als Mitglieder des Untersuchungsausschusses nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Vertraulichkeit des Ausschusses verpflichtet. Sie dürfen die dort erlangten Informationen nicht für die Arbeit ihres Mutterhauses nutzen.
Beamten seien "Gewissenskonflikt ausgesetzt"
Das sieht Innenminister Reinhold Gall (SPD) anders. Seine Beamten wären einem Gewissenskonflikt ausgesetzt, weil sie als Staatsdiener die Pflicht hätten, Straftaten oder Dienstvergehen anzuzeigen und zu verfolgen. Eine Meinung, von der sich die meisten Abgeordneten des Untersuchungsausschusses distanzieren. Der Ausschuss, betonte dessen Vorsitzender Wolfgang Drexler (SPD), habe „damit einen vernünftigen Kompromiss erreicht“.
Zugespitzter drückte es Christdemokrat Matthias Pröfrock aus. Er war dem Innenministerialen „mangelndes Fingerspitzengefühl“ in den beiden Fällen vor. Der Untersuchungsausschuss müsse jetzt „das Innenministerium vor sich selbst schützen“.
Vor sich selbst will der Ausschuss offenbar auch die Familie des toten, früheren Neonazis Florian Heilig schützen. Der 21-Jährige verbrannte am 16. September 2013 in seinem Auto auf dem Cannstatter Wasen. Zwei Jahre zuvor hatte sich Heilig gegenüber Kolleginnen gebrüstet, er wisse, dass der NSU 2007 die Polizistin Michéle Kiesewetter getötet habe. Der Polizistenmord war damals noch völlig ungeklärt. Erst Monate später, im November 2011, fand man die Tatwaffe im Wohnmobil von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, den beiden mutmaßlichen NSU-Terroristen.
Anders als angekündigt hielten die Familie Heilig und deren Vertraute, der Wissenschaftler Hajo Funke und der Rechtsanwalt Yavuz Narin, noch vier ausstehende Beweisstücke zurück, sagte Drexler - und ist sich der Zustimmung aller Parteien un dem Gremium sicher. Bislang wurden diesem Videokamera, Laptop, Festplatte und Handy nicht übergeben. Das Landtagsgremium hatte am Freitag die Wohnung der Familie von Florian H. durchsuchen lassen. Dabei waren die gesuchten Gegenstände aber nicht gefunden worden.
Für den Grünen Jürgen Filius ist das Verhalten der Familie „nicht nachvollziehbar“. Der Liberale Niko Reith sieht den Untersuchungsausschuss im Fall Heilig an seine Grenzen stoßen.