Fast jeder zweite Häftling ist psychisch auffällig, sagen Psychiater Foto: dapd

Stuttgart - Angesichts der wachsenden Zahl aggressiver und psychisch auffälliger Häftlinge raten Fachleute zu einer besseren Personalausstattung in den Gefängnissen.

StuttgarT - Angesichts der wachsenden Zahl aggressiver und psychisch auffälliger Häftlinge raten Fachleute zu einer besseren Personalausstattung in den Gefängnissen. Vor allem an Ärzten und Pflegern mangelt es nach Ansicht einer 16-köpfigen Kommission, die von Justizminister Rainer Stickelberger als Reaktion auf den Hungertod eines Gefangenen in der Haftanstalt Bruchsal eingesetzt worden war.

Um psychisch auffällige Gefangene schnell und zuverlässig zu erkennen, müssten zumindest die großen Anstalten mit mehr als 400 Haftplätzen eine zweite Arztstelle erhalten, lautet der Vorschlag, den die Runde jetzt in einem Zwischenbericht ihrer Arbeit macht. „Das wären acht Ärzte zusätzlich“, sagte Alexander Schmid, Landeschef des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, und Mitglied der Runde.

Aber auch niedergelassene Mediziner sollen stärker zur psychiatrische Behandlung der Häftlinge herangezogen werden. Außerdem fehlten 13 Fachpfleger für Psychiatrie in den großen Anstalten sowie im Justizvollzugskrankenhaus, meint die Kommission, der Vollzugspraktiker, Mediziner, aber auch Landtagsabgeordnete angehören.

Doch damit nicht genug: Die Fachleute sprechen sich auch für eine „erhebliche personelle Verstärkung“ des allgemeinen Vollzugsdienstes aus, um „vor allem im Spätdienst die einzelnen Stockwerke der Gefangenenunterkünfte besser betreuen zu können“, wie Stickelberger am Montag mitteilte. Außerdem soll der psychologische Dienst um acht Neustellen aufgestockt werden. Und schließlich müsse auch das Justizvollzugskrankenhaus auf dem Hohenasperg gestärkt werden.

Insgesamt elf Millionen Euro werde es kosten, alle 23 Handlungsempfehlungen umzusetzen, erklärte Stickelberger und sagte eine rasche Prüfung zu. Er werde sich nun für die notwendigen strukturellen Verbesserungen einsetzen, wobei erste Maßnahmen bereits im nächsten Nachtragshaushalt finanziert werden könnten, der für den Herbst geplant ist.

„Es kommt jetzt darauf an, die Vorschläge auch umzusetzen“, sagte Gewerkschaftschef Schmid. Man dürfe nicht erst reagieren, „wenn etwas passiert“. Die Vollzugsbeamten seien meist die ersten, die psychische Auffälligkeiten bei Gefangenen bemerkten.

Er räumte allerdings ein, dass es nicht einfach werde, auf dem Arbeitsmarkt Ärzte für den Dienst in einem Gefängnis zu gewinnen. Stickelberger hatte schon vor Monaten auf dieses Problem hingewiesen und angekündigt, er werde keine Stellen schaffen, sondern den Sachverstand von außen holen. In puncto Arbeitszeit sei der öffentliche Dienst jedoch durchaus attraktiv, entgegnet der Gewerkschaftschef. So entfielen für die Mediziner beispielsweise die Schicht- und Wochenenddienste.

Die Grünen im Landtag unterstützen die Empfehlung, mehr Personal einzusetzen. „Für besonders wichtig halten wir auch die Fortbildungen für die Mitarbeiter im Strafvollzug“, sagte Jürgen Filius, der Strafvollzugsbeauftragte der Fraktion. Denn die psychische Krankheit des in Bruchsal im August 2014 verhungerten Häftlings sei dort nicht richtig behandelt worden.

Der CDU-Abgeordnete Bernhard Lasotta hielt Stickelberger vor, er hätte die von der Kommission vorgeschlagenen Stellen schon längst in den Haushalt einstellen können: „Wir haben diese Forderung bereits im Herbst 2014 erhoben, und der Minister wollte doch zeitnah und zügig handeln.“

Stickelberger zufolge waren 2013 bei mehr als 40 Prozent aller Häftlinge psychische Auffälligkeiten diagnostiziert worden. Der Umgang mit solchen oftmals aggressiven Männern sei schwierig.

Die Kommission will ihre Arbeit fortsetzen und im Spätsommer einen Abschlussbericht vorlegen. Dann sollen auch ärztliche Zwangsmaßnahmen zur Sprache kommen. Der Häftling in Bruchsal hätte nach Aussage eines Gutachters durch Zwangsmedikation gerettet werden können. Schließlich will die Kommission auch Vorschläge machen, wie Selbsttötungen verhütet werden können.