Emotionen brechen sich Bahn: die Französinnen feiern Wendie Renard (3. v. links), ihre Kapitänin und Siegtorschützin gegen Brasilien. Foto: imago/Zuma Wire/Chris Putnam

Frankreichs Fußballerinnen vergeuden keine Kraft mehr mit internen Streitigkeiten. Der schwer erkämpfte 2:1-Sieg gegen den WM-Mitfavoriten Brasilien macht deutlich, warum Trainer Hervé Renard eine stattliche Titelprämie ausgehandelt hat.

Irgendwo musste Hervé Renard ja mit seiner Anspannung hin. Also schimpfte der Trainer von Frankreichs Fußballerinnen kurz vor Ende des schwer erkämpften Erfolgs gegen Brasilien (2:1) wie ein Rohrspatz in Richtung der gegnerischen Bank, verweigerte in der Erregung sogar den Handschlag mit einem Offiziellen.

Doch alsbald hatte sich der impulsive Workaholic wieder beruhigt: Es folgte die Gelbe Karte und die Entschuldigung. „Es waren sieben Minuten Nachspielzeit und die waren vor dem Freistoß eigentlich schon abgelaufen, am Ende waren es neun Minuten, darüber war ich nicht erfreut“, gab der 54-Jährige später zu Protokoll.

Französischer Siegeswillen

Der oft wild gestikulierende Franzose – ein Gegenpol zur schwedischen Globetrotterin und brasilianischen Nationaltrainerin Pia Sundhage, die meist ruhig mit verschränkten Armen diese hochklassige Partie zwischen möglichen Achtelfinalgegnern des deutschen Teams verfolgte – hatte letztlich vielleicht mitgeholfen, finale Energie auf den Rasen zu übertragen. Sein Ensemble brachte vor prächtiger Kulisse in Brisbane mit fast 50 000 begeisterten Augenzeugen einen Siegeswillen auf, der früher nicht immer zu besichtigen war.

Wie so oft sorgte Kapitänin Wendie Renard per Kopf nach einer Standardsituation für den Siegtreffer (83.). „Sie ist unsere wichtigste Spielerin auf dem Platz, aber auch im Umkleideraum. Sie schießt viele wichtige Tore für uns“, lobte Hervé Renard seine 1,87 Meter große Verteidigerin. „Wendie motiviert und pusht immer alle.“

Dabei war die Kapitänin im Frühjahr zunächst zurückgetreten, als die Dauerfehde mit der ungeliebten Nationaltrainerin Corinne Diacre eskalierte. Die 32-Jährige hatte mit anderen Leistungsträgerinnen dem Verband erklärt, unter der dauergriesgrämigen Trainerin nicht mehr weiterzuspielen.

Rekordtorjägerin Eugenié Le Sommer trifft

Dass nach Diacres Entlassung ein erfahrener Coach kam, der gerade bei der Männer-WM in Katar mit Saudi-Arabien die Sensation gegen Argentinien vollbrachte, könnte sich als Glücksfall erweisen. Unter Hervé Renard wird wieder gelacht, wie die zurückgekehrte Rekordtorjägerin Eugenié Le Sommer gleich feststellte. Die 34-Jährige hat sich fürs Vertrauen nun einem technisch anspruchsvollen Kopfball zum frühen 1:0 bedankt (17.). – dem 89. Länderspieltor der nur 1,61 Meter großen Ausnahmestürmerin.

Auch auf den nicht minder sehenswerten Ausgleich von Débinha (58.) hatten „Les Bleues“ noch eine Antwort. Dieses Team hat nun beste Chancen auf den Gruppensieg, denn gegen Panama sollte im letzten Spiel (Mittwoch 12 Uhr) nicht mehr viel schiefgehen. Doch der Cheftrainer hat in Australien noch viel mehr vor, sonst hätte sich der Filou laut der französischen Sportzeitung „L’Equipe“ nicht 600 000 Euro Titelprämie in den Vertrag schreiben lassen.

Große Sympathien für die Südamerikanerinnen

Kollegin Pia Sundhage muss erst einmal sehen, dass die 60 000 in Australien lebenden Brasilianer nicht wieder so enttäuscht werden wie in der Olympiastadt für die Sommerspiele 2032. So war erstmals auch ohne den Auftritt der Australierinnen selbst die Fanzone in Sydney am Tumbalong Park mitten im pulsierenden Darling Harbour zum Bersten gefüllt, weil hier jeder Zweite seine Sympathien für die Südamerikanerinnen auslebte.

Sie sind nun in der dritten Partie gegen Jamaika zum Siegen verdammt. Bei einem Remis würden die „Reggae Girlz“ weiterkommen. Doch mit ihrer individuellen Klasse ist die Seleção klarer Favorit. Außergewöhnliche Qualitäten offenbarte wieder Ary Borges, die zum Auftakt beim 4:0 gegen Panama einen Dreierpack geschnürt hatte.

Brasilien braucht eine bessere Balance

Die 23-Jährige ist eine aus der neuen Generationen, der Sundhage anstellte von Weltstar Marta die Verantwortung übertragen hat. Die Ikone des Weltfußballs kam erneut nur von der Bank, der magische Moment bei der 37-Jährigen blieb als Einwechselspielerin aus.

Insgesamt braucht das brasilianische Team noch eine bessere Balance. Mitunter war es ein Hackentrick oder ein Heber zu viel. „Die Hauptfrage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wie halten wir den Ball und finden das Gleichgewicht zwischen kreativem Offensivspiel und einer klugen Defensive? Da müssen wir cleverer spielen“, forderte Sundhage.

Sonst gibt es für einen WM-Favoriten schon in der Vorrunde ein böses Erwachen.