Die beiden deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Emre Can geraten ins Abseits, weil sie ein Bild im Internet positiv bewerten – kein Einzelfall im digitalen Zeitalter.
Tallinn - Auf dem kurzen Fußweg von der Umkleidekabine zum Mannschaftsbus schlägt Ilkay Gündogan nichts anderes als Begeisterung entgegen. In mehreren Reihen stehen estnische Fußballfans am Ausgang des Stadions von Tallinn Spalier und beklatschen den Mann, der die deutsche Nationalmannschaft mit zwei Toren und einer Vorlage zum 3:0-Sieg in der EM-Qualifikation geführt hat. Gündogan lächelt und winkt – und tätschelt dem kleinen Jungen die Wange, den ihm ein Familienvater fürs Erinnerungsfoto in den Arm drückt.
Dass die Bewunderung seiner Person nicht ungeteilt ist, hat der 27 Jahre alte Fußballprofi von Manchester City jedoch kurz davor merken müssen. Ein paar Meter vor dem Zuschauerspalier warteten nicht Fans mit Autogrammkarten und Handykameras, sondern Reporter mit Notizblöcken und Mikrofonen. Und weniger um seine Tore und seine starke Leistung ging es, sondern vornehmlich um seine Aktivitäten in den sozialen Netzwerken des Internets.
Wie sein Mannschaftskollege Emre Can hatte Gündogan auf der Instagram-Seite seines früheren Mitspielers Cenk Tosun ein Foto jubelnder türkischer Nationalspieler beim Länderspielsieg gegen Albanien mit einem Like versehen. Dummerweise warfen diese jedoch nicht einfach vor Freude die Arme in die Luft, sondern salutierten mit der Hand an der Stirn den Soldaten ihres Heimatlands, die trotz internationaler Proteste militärisch gegen Kurden in Nordsyrien vorgehen.
Während die Uefa Ermittlungen aufgenommen hat, gibt es also zwei deutsche Nationalspieler, die zu dieser Geste und damit auch dem türkischen Angriffskrieg applaudieren?
Shitstorm war nicht mehr aufzuhalten
Es half Can und Gündogan wenig, dass sie ihre Likes nach der ersten Empörungswelle umgehend rückgängig gemacht und beteuert haben, dass sie kein politisches Statement abgeben, sondern nur ihrer Freude über den Sieg der Türken auf dem grünen Rasen Ausdruck verleihen wollten. Der Shitstorm war nicht mehr aufzuhalten – und mit ihm eine neue Debatte über die Frage nach dem Integrationswillen türkischstämmiger Fußballspieler in Deutschland.
Vor der Weltmeisterschaft 2018 in Russland waren es Fotos mit Machthaber Recep Tayyip Erdogan, die sich zur Staatsaffäre ausgeweitet, Gündogan und die DFB-Spitze in größte Erklärungsnot gebracht und Weltmeister Mesut Özil am Ende zum mit Rassismusvorwürfen unterlegten Rücktritt aus der DFB-Auswahl veranlasst hatten. Jetzt genügten zwei einfache Klicks im Internet, um das Feuer wieder aufflackern zu lassen.
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Kleiner Auslöser, große Wirkung
Kein Einzelfall im digitalen Zeitalter der „großen Gereiztheit“ (Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen), in dem ein unglücklich formulierter Post, ein unüberlegtes „Gefällt mir“, eine unglückliche Äußerung eine Lawine auslösen und Karrieren beschädigen können. Der digitale Pranger ist häufig nur einen Klick entfernt. Kein Wunder, dass Fußballer immer weniger Interviews geben, in denen ihre Aussagen in einen missverständlichen Zusammenhang gerückt werden könnten. Sie haben ja längst eigene Kanäle, über die sie ihre Botschaften loswerden können.
Die große Rolle von Internet und Social Media
In der Unterhaltungsindustrie Profifußball, das ist kein Geheimnis, spielen Internet und Social Media eine besonders große Rolle. Mithilfe von Instagram, Twitter, Facebook und Co. lassen sich Image, Bekanntheitsgrad und Werbewert der Protagonisten mit überschaubarem Aufwand maßgeblich beeinflussen. Für Unternehmen gehört die Zahl der Follower bei der Auswahl von Werbeträgern zu den entscheidenden Kennziffern.
Kein Wunder also auch, dass die besten Kicker nichts dem Zufall überlassen und ihre Social-Media-Aktivitäten darauf spezialisierten Agenturen anvertrauen. Diese arbeiten daran, ein möglichst makelloses Bild ihrer Klienten zu zeichnen, und achten peinlich genau darauf, nur ja keinen Fan vor den Kopf zu stoßen. Schwer vorstellbar, dass Cristiano Ronaldo eine Nachricht an seine 80 Millionen Twitter-Follower jemals selbst verfasst hat.
Bierhoff appelliert an die Verantwortung der Spieler
Emre Can und Ilkay Gündogan, davon ist fest auszugehen, haben ihre Likes eigenhändig gesetzt. Ohne Zweifel keine schlaue Idee, zumal im Falle Gündogans, der als gebranntes Kind genau hätte wissen können, wie dünn das Eis in solchen Fällen ist. DFB-Direktor Oliver Bierhoff hatte zunächst alles „nicht so kritisch“ gesehen, mit mit einigen Stunden Abstand schärfte er am Montagmittag seine Position aber nach. „Wir haben nach dem Spiel mit den Spielern gesprochen. Sie wissen auch, dass es ein Fehler war“, sagte Bierhoff. „Sie müssen sich der großen Verantwortung und der Wirkung bewusst sein, die jede ihrer Aussagen und Aktionen, vor allem auch in den sozialen Netzwerken, nach sich ziehen können.“