Die Entwicklung des Nordbahnhofviertels war Thema der Führung. Foto: Michael Steinert

Die Mobile Jugendarbeit und die Schulsozialarbeit erkunden die Geschichte des Viertels. Zum Auftakt hat eine Historikerin eine Gruppe durch das Nordbahnhofviertel geführt.

S-Nord - Dass nur derjenige, der weiß, woher er kommt, wissen kann, wohin er geht, das wusste schon Theodor Heuss, und das weiß auch die Mobile Jugendarbeit und Schulsozialarbeit der Caritas. Deshalb findet seit dem Frühjahr die Veranstaltungsreihe „Stadtteilentwicklung und Sozialraumplanung“ statt, bei der die Entwicklung bestimmter Stadtteile beleuchtet wird. Zum Auftakt hat die Historikerin Claudia Weinschenk eine Gruppe durch das Nordbahnhofviertel geführt; mit dabei waren Vertreter des Bezirksbeirates Nord, der evangelischen und der katholischen Kirchengemeinde, der Rosensteinschule und des Hauses 49. „Persönlich setzt man sich auch mit seiner Vergangenheit auseinander“, erklärt Jutta Jung, die Fachdienstleitung für Mobile Jugendarbeit und Schulsozialarbeit der Caritas. „Wir möchten eine Auseinandersetzung damit, wie Dinge an einem Ort entstanden sind und wie das unsere Arbeit beeinflusst.“

Von der Mittnachtstraße spazierte die Gruppe Richtung Martinskirche, dann zu den Wagenhallen und zurück zur Nordbahnhofstraße. „Das Nordbahnhofviertel gehört seit 1905 zur Stadt Stuttgart, seitdem Bad Cannstatt eingemeindet worden war“, erklärt Claudia Weinschenk. „Vor der Besiedlung war hier Brachland, kein Ackerland.“ Die Gegend wurde auch Pragsiedlung genannt, nach der Passhöhe zum Pragsattel. „Allerdings ist damit nicht die tschechische Hauptstadt Prag gemeint“, sagt die Historikerin. Es gibt Vermutungen, wonach das Wort „Prag“ von „Brache“ kommen soll, aber das ist nicht eindeutig belegt. Weinschenk hält das für eine „lautmalerische Interpretation, nicht für die Realität“. Die Entwicklung des Nordbahnhofsviertels ist eng mit der Eisenbahn verknüpft, die von Mitte des 19. Jahrhunderts an rasant ausgebaut wurde.

„Die Wohnungen waren damals sehr modern“

Der erste Güterbahnhof, der sich dort befand, wo der heutige Hauptbahnhof liegt, reichte bald nicht mehr aus, so dass die Württembergische Eisenbahngesellschaft 1886 begann, einen neuen, großen Güterbahnhof zu bauen – am heutigen Nordbahnhof. Dafür wurden viele Arbeiter gebraucht. Das waren Bauern und Tagelöhner aus dem Umland, die untergebracht werden mussten. So entstanden die Backsteinhäuser, die das heute denkmalgeschützte Eisenbahnerviertel ausmachen. „Die Wohnungen waren damals sehr modern, sie waren abgeschlossen, hatten eigene Küchen und Toiletten“, sagt Weinschenk. Wer baden wollte, musste in die öffentliche Badeanstalt gehen: das Gebäude neben dem Spielplatz Klein-/Knappstraße existiert bis heute – mit dem Namen über der Tür.

Neben den Arbeiterfamilien wohnten auch Bahnbeamte und Besserverdiener hier: In der Goppeltstraße steht die Villa Eblen, die ursprünglich einer Gärtnerfamilie gehörte, die am Pragfriedhof tätig war. „In den 60er und 70er Jahren sind viele der ursprünglichen Einwohner weggezogen“, berichtet Claudia Weinschenk. An ihrer Stelle seien viele Migranten eingezogen, die auch heute den Großteil der Bevölkerung im Nordbahnhofviertel ausmachen.

Im Herbst soll bei einem zweiten Termin diskutiert werden, welche praktischen Vorhaben in den bestehenden Strukturen des Nordbahnhofviertels umgesetzt werden könnten, um möglichst viele Bewohner zu erreichen.