Michael Zöllner macht sich auf die Suche nach sich selbst. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Verleger Michael Zöllner verlässt den Stuttgarter Heimathafen Klett-Cotta und bricht zu neuen abenteuerlichen Ufern auf. Wohin die Lebensreise geht, erzählt er dort, wo alles anfing: beim Frühstück im Café Kaiserbau am Marienplatz.

Stuttgart - Croissants oder Rosinenbrötchen, bayerisches Frühstück mit Weißwurst und Brezel – hier, im Café Kaiserbau am Marienplatz, fing alles an. Der Stuttgarter Klett-Cotta-Verlag war auf der Suche nach einer neuen Leitung und in den beiden jungen Wilden Michael Zöllner und Tom Kraushaar fündig geworden. Von Berlin aus hatte ihr kleiner Tropen-Verlag viel frischen Wind in die Szene geblasen. Nun wollten die beiden den neuen Wirkungsort näher beschnuppern, beim Frühstück im Café Kaiserbau. Was bestellt man da? Michael Zöllner entschied sich für einen Strammen Max. Was auch immer das ist, es stand nicht auf der Karte. Die Kellnerin bot ihm stattdessen schlagfertig einen schlappen Giovanni an. Das Eis war gebrochen, und die schönen Stuttgarter Jahre konnten beginnen. Das war an einem Wintermorgen vor etwas mehr als zehn Jahren. Seitdem blüht der Tropen- Verlag unter dem Dach von Klett-Cotta.

Nun sitzt Michael Zöllner wieder im Café Kaiserbau. Diesmal nicht zur Begrüßung, sondern zum Abschied. Und wieder die Frage: Was bestellt man da? Einen Strammen Max sucht man immer noch vergeblich auf der Karte, einen schlappen Giovanni auch. Zöllner bestellt frisch gepressten Orangensaft, einen Cappuccino und Rühreier mit Kirschtomaten.

Der Mann, der einem da gegenübersitzt, mit kölscher Sprachmelodie und der unkomplizierten Geselligkeit eines Rheinländers, wurde 1969 in San Sebastian geboren. Neben seinem deutschen Vornamen Michael trägt er den baskischen Iñaki. Und der wiederum ist so aufgeladen mit Freiheitsdrang und Separatismus, dass man damit in Rest-Spanien aneckt. Seine Eltern waren viel auf Achse, gewissermaßen die natürliche Voraussetzung für ein später gegründetes Speditionsunternehmen. Ins Baskenland hat es die Familie allerdings vor allem verschlagen, weil der Vater nicht zur Bundeswehr wollte. Fünf Kriterien entscheiden, ob man ein Baske ist, erzählt Michael Iñaki Zöllner, mindestens drei davon muss man erfüllen: Die Geburt im Baskenland gehört dazu, ein baskischer Name und die Identifikation mit der baskischen Sache.

Aufgewachsen ist der kleine Baske Zöllner dann in Erftstadt-Lechenich, sprich Leschenisch, bei Köln. Offensichtlich eine Art Mittelschichtsparadies. „Es gab hier keine Armen und Reichen, nur reinen Durchschnitt.“ Was mit sich brachte, dass seine ganzen Freunde eigentlich alle dasselbe werden wollten wie er selbst: Künstler, Schriftsteller oder Psychoanalytiker. Damit wäre man schon beinahe beim Grund des Abschieds aus Stuttgart angekommen. Denn natürlich wollte Zöllner das alles auch werden. Er studierte erst Germanistik, dann Kunst, wurde ein gefragter Buch-Gestalter, war in New York Artdirector des noblen Design-Magazins „Nest“, gründete schließlich den Tropen-Verlag, den er zusammen mit seinem Freund Tom Kraushaar und dem Gespür für interessante Autoren über alle waghalsigen finanziellen Abgründe des Kleinverlegertums in den sicheren Klett-Cotta-Hafen steuerte.

Aber eigentlich war er schon seit der ersten Bekanntschaft mit Freuds Ödipus-Konzept als 13-Jähriger von der geistigen Befreiungskraft der Psychoanalyse fasziniert. Weshalb er es ablehnte, die Nachfolge seines Vaters in dem Speditionsunternehmen anzutreten. Inzwischen ist er zu der triebtheoretischen Dynamik seiner Jugend zurückgekehrt. Während des Aufenthalts auf Lanzarote – vier Monate Elternzeit – hat sich der junge Vater mit zwei prall gefüllten Bücherkisten eingedeckt, als Gegengewicht zu Surfen, Frau und Kind. Weil die Behörden offenbar dachten, er wolle den kanarischen Buchhandel aufmischen, blieb der Lesestoff im Paragrafengeflecht einer insularen Sonderhandelszone hängen. Als Ersatz ließ er sich von seinem Stuttgarter Verlag das komplette psychologische Programm als E-Book zuschicken. Und die Reise in die Psyche konnte beginnen.

Morgendliches Erweckungserlebnis

Und dann kam es eines Morgens im letzten Jahr zu einem Erweckungserlebnis, das zu folgendem Wortwechsel zwischen Zöllner und seiner Frau führte. Er: „Ich werde Psychoanalytiker.“ Sie: „Du Sau, das war meine Idee.“ Wozu man wissen muss, dass Zöllner mit der Philosophin Ariadne von Schirachverheiratet ist, die sich gegenüber Fragen sokratischer Lebenskunst, wozu ein Professionswechsel unbedingt gehören kann, naturgemäß aufgeschlossen zeigt. Zöllner kündigte einen Posten, den man wohl als Traumjob beschreiben könnte, um mit knapp fünfzig Jahren noch einmal in Berlin ein Studium aufzunehmen und im Anschluss daran eine mehrjährige Ausbildung zum Psychoanalytiker zu absolvieren. Darauf noch einen Kaffee, dieses Mal mit Soja-Milch, „nicht so gut wie Hafermilch, aber auf jeden Fall besser als Kuhmilch“.

Auch die Nahrung hat Einfluss auf die Psyche. In Stuttgart ist er zum Vegetarier geworden, weshalb sich die Sache mit dem Strammen Max, Schinken mit Spiegelei und Käse, ohnehin ein für alle Mal erledigt hat. Bei seiner Abschiedsrede im Verlag sagte Zöllner, er sei zwar ein Kind der Suhrkamp-Generation, doch erwachsen geworden sei er bei Klett-Cotta. Er rührt in seinem Kaffee. In gewis sem Sinn gelte das auch für die Stadt: „Ich scheide von Stuttgart mit einem Gefühl der Liebe.“

Seine Frau bleibt dem Verlag verbunden, als Autorin. „Sie muss jetzt eben ein bisschen mehr verdienen“, sagt Michael Zöllner in dieser gut gelaunten Gelassenheit, die man wahlweise innerer Balance oder rheinisch-baskischem Frohsinn zuschreiben kann, „ich bin jetzt ja erst einmal wieder Student.“