Eine von vielen Powerfrauen im deutschen Sport: Speerwerferin Christina Obergföll Foto: Getty

Bei den Olympischen Spielen in London waren erstmals von allen Nationen Athletinnen dabei, nach Sotschi schickte Deutschland mehr Frauen als Männer. Dennoch „gibt es noch einiges zu tun, bis überall ein Umdenken stattgefunden hat“, sagt DOSB-Vizepräsidentin Ilse Ridder-Melchers.

Stuttgart - Frau Ridder-Melchers, was halten Sie von der Frauenquote?
Ich bin eine Befürworterin. Man mag sie als Hilfsmittel oder als Krücke titulieren, aber viele Veränderungen passieren eben nicht von alleine, ein gewisser Druck ist nötig.
Auch im Sport?
Ja, auch im Sport. Selbst bei uns gibt es an etlichen Stellen eine Schieflage. In rund 25 Prozent unserer Mitgliedsverbände ist zum Beispiel keine einzige Frau in den Führungsgremien vertreten.
Und deshalb berät die DOSB-Mitgliederversammlung an diesem Samstag über eine Frauenquote?
Wir beraten nicht nur, wir beschließen sie.
Sie sind sich Ihrer Sache sehr sicher.
Wir haben im Vorfeld lange über die Satzungsänderung diskutiert, auch in unseren Verbänden ist viel darüber gesprochen worden. Ich bin guten Mutes, dass sie mit breiter Mehrheit so beschlossen wird. Sie hat viele Vorteile und passt wunderbar zum Sport.
Das müssen Sie erklären!
Der Sport steht für Toleranz, Fairness und Chancengleichheit. Wer sich aber an solchen Werten orientiert, muss das auf allen Ebenen tun. Und was die Vorteile betrifft: So eine Quote hilft Frauen, sich schneller durchzusetzen. Sie werden ermuntert, sich um entsprechende Positionen zu bewerben. Und zudem habe ich beobachtet, dass eine verbindliche Regelung einen Innovationsschub zur Folge hat. Auch für den deutschen Sport wird die Quote ein Meilenstein sein. Andere Verbände und Organisationen werden sich ein Beispiel nehmen.
Wie genau sieht die Quote denn aus?
In allen Gremien müssen mindestens je 30 Prozent Frauen und Männer sein.
Für das DOSB-Präsidium gilt dies aber nicht.
Für das Präsidium wird es nur eine Soll-Bestimmung geben. Weil es sich um Einzelwahlen handelt, bei der die Delegierten eine Person für ein bestimmtes Amt wählen, ist es rechtlich kaum anders möglich. Aber dort, wo es keine rechtlichen Hürden gibt, gilt künftig die verbindliche Quote.
Die Mitgliederversammlung ist Ihr letzter Auftritt als DOSB-Vizepräsidentin für Gleichstellung. Sind Sie wehmütig, diesen Lebensabschnitt zu beenden?
Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, aber ich bin diesen Schritt bewusst gegangen. Ich werde künftig mehr Zeit für andere Dinge haben, für meine Familie zum Beispiel, für Hobbys und für meine Hunde. Auf der anderen Seite gibt man sehr viel in solch ein Ehrenamt rein, deshalb höre ich auch mit einem weinenden Auge auf. Es war in all den Jahren immer eine schöne Herausforderung, für und mit zehn Millionen Mädchen und Frauen Verantwortung zu tragen und zu gestalten.
Petra Tzschoppe soll Ihre Nachfolgerin werden. Ist sie die Richtige?
Ich bin sicher, dass sie das hervorragend machen wird. Die Frauenvollversammlung hatte es nicht leicht, sich im Vorfeld zwischen ihr und Michaela Röhrbein zu entscheiden. Beide sind hoch qualifizierte Kandidatinnen.
Was geben Sie Ihrer designierten Nachfolgerin mit auf den Weg?
Viel Mut, Kraft und ein Stückchen Humor, um auch Niederlagen wegzustecken.
Wenn Sie zurückdenken: Gab es oft Situationen, in denen Sie zurückstecken mussten?
Ich bin eine Kämpfernatur und kann ziemlich hartnäckig sein. Aber ich habe mich auch immer auf Kompromisse eingelassen. Ich bin rational genug zu wissen, dass man nicht immer alles sofort durchsetzen kann. Manchmal muss man zunächst mit einem Etappensieg zufrieden sein. Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut (lacht).
Und was bedeutet das in Hinsicht auf Ihre Arbeit beim DOSB?
Es gibt noch viel zu tun, auch wenn wir in den vergangenen Jahren einiges erreicht haben.
Zum Beispiel?
Da wäre, wie schon erwähnt, die Frauenquote. Dann ist es schön zu sehen, dass Frauen wirklich im Sport angekommen sind. Im Spitzensport zum Beispiel. Bei den Olympischen Sommerspielen in London haben erstmals alle Nationen Athletinnen geschickt, und bei den Winterspielen in Sotschi waren für Deutschland mehr Frauen am Start als Männer. Das hat es noch nie gegeben.
Und was ist mit dem Breitensport?
Auch da gibt es Erfolge. Das Vereinsangebot öffnet sich immer mehr. Die Zuwächse an Mitgliedern, die wir zwischen 2000 bis 2010 hatten, sind fast ausschließlich auf Mädchen und Frauen zurückzuführen.
Wenn es solche Fortschritte gibt, warum ist dann noch eine Frauenbeauftragte nötig?
Weil es noch einiges zu tun gibt. Wir haben viel zu wenig Trainerinnen im Leistungssport, wir müssen noch mehr Frauen mit Migrationshintergrund gewinnen und sie zum Beispiel als Übungsleiterinnen integrieren. Mit unserem neuen Projekt „ZUG“ wollen wir unter anderem ganz gezielt ältere Menschen aus aller Welt für den Gesundheitssport gewinnen und nicht zuletzt wollen wir Personalgewinnung mit Fragen der Gleichstellung verknüpfen. Richtig ist aber: Frauenvertreterinnen arbeiten daran, sich irgendwann überflüssig zu machen. Irgendwann reicht vielleicht ein Gleichstellungsgremium oder etwas Ähnliches, das mit Männern und Frauen besetzt sein wird. Aber das geht erst, wenn wirklich ein Umdenken stattgefunden hat, wenn in allen Gremien Frauen sitzen. Und davon sind wir im Moment noch weit entfernt.
Warum tun sich Frauen oft schwer in Führungspositionen?
Wir haben unsere Verbände im vergangenen Jahr genau das gefragt. Die Antworten waren sehr unterschiedlich. Zum einen gibt es immer noch die oft wenig transparenten Netzwerke unter Männern. Andere meinten, es fehle an motivierten Kandidatinnen, oder Frauen hätten nicht genug Selbstbewusstsein, so ein Amt zu übernehmen. Und viele meinten, die Hürde bei der Gewinnung von Frauen für ehrenamtliche Führungspositionen ist, dass sich Familie, Beruf und Ehrenamt nicht vereinbaren lassen. An diesen Punkten müssen wir überall gleichzeitig ansetzen.
Sie waren lange Zeit in der Politik aktiv, dann im Sport, und Sie haben zwei Kinder. Wie haben Sie das hinbekommen?
Ich hatte das Glück, dass meine Kinder zwei Großmütter hatten, die mir sehr engagiert geholfen haben. Sonst wäre das vielleicht überhaupt nicht möglich gewesen. Es wäre zumindest sehr viel schwerer gewesen. Es war für mich eine prägende Zeit. Denn erst, als ich meine beiden Kinder hatte, habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, Beruf und Familie zu vereinbaren und dass die meiste Last bei den Frauen liegt. Das hat mich zur Kommunalpolitik gebracht, wo ich ganz konkret viele Probleme in die Ratsarbeit einbringen konnte. Frauen und Sport waren in der Politik schon immer meine Themen.
Frauen und Führung. Familie, Beruf und Ehrenamt. Viele können sich immer noch nicht vorstellen, dass dies funktioniert und zusammenpasst.
Das stimmt leider. Aber man kann etwas dagegen tun.
Was?
Vorbilder schaffen. Je mehr Frauen wir in Führungspositionen haben, umso mehr wird transportiert, Frauen nehmen ganz selbstverständlich Führungsaufgaben wahr, und sie können es. Wenn wir diese Vorbilder nicht haben – das sehen wir auch in der Berufswelt –, dann können sich Frauen oft nicht einmal vorstellen, in männerdominierten Bereichen Führung zu übernehmen.
Dann wäre es aber doch auch mal an der Zeit für eine DOSB-Präsidentin, oder?
Dafür ist immer Zeit. Aber es hat bislang leider noch nicht geklappt. Von Bedeutung ist aber auch, dass einem Präsidenten beziehungsweise einer Präsidentin das Thema Gleichstellung wichtig ist. Und da ist unser neuer Präsident Alfons Hörmann durchaus engagiert und hat für den Bereich Frauen und Gleichstellung offene Ohren. Wenn er die Quote zum Beispiel nicht gewollt hätte, wäre sie im Präsidium sicherlich nicht mehrheitsfähig gewesen.
Sind Frauen eigentlich anders als Männer?
Ich denke nicht, dass wir grundsätzlich anders sind als Männer. Aber Frauen bringen durch ihre Sozialisation andere Erfahrungen mit, andere Kompetenzen und Sichtweisen, die Männer im Moment nicht haben. Aber es findet ein Wandel statt. Die Lebenswelten von Männern und Frauen sind zwar noch weit auseinander, aber sie bewegen sich aufeinander zu. Und das ist gut so. Jetzt brauchen wir nur mehr Frauen, die ihre Sichtweise einbringen, und Männer, die sich diesem Veränderungsprozess offen stellen.