Die Hallen in Frankfurt sind gerichtet: Auf der Buchmesse präsentiert das Gastland Norwegen seinen literarischen Hochadel in einem kühlen Großraumbüro der Fantasie.
Frankfurt - Ein wenig fühlt man sich in diesem Raum an die Dialoge des norwegischen Autors Jon Fosse erinnert: Vielsagende Kargheit, die einen deliranten Schwebezustand zwischen Innen und Außen hervorruft. Vielleicht ahnt man auch, in welchem Verhältnis die ausschweifende Einsilbigkeit, die einen Teil der wichtigsten Autoren des Landes charakterisiert, zu der überwältigenden Natur steht.
Der Pavillon des diesjährigen Gastlandes der Buchmesse überwältigt den Besucher mit ausschweifender Weiträumigkeit, die von zwei Spiegelwänden an den Längsseiten auf sich im Unendlichen verlierende Assoziationsflächen verlängert wird. Gletscher, Meer, kühle Klarheit.
Um diesen Vorstellungsbildern sinnliche Würze zu verleihen, findet sich auf einem der aus filigranen Metallstangen geformten Lesepulte in dem nüchternen Großraumbüro der Fantasie eine Art Duftorgel, die aus kleinen Gefäßen typische Landesaromen beisteuert: Norwegischen Ziegenkäse, frisch gekochten Dorsch, auch den Geruch von „Asphalt, zehn Minuten nachdem es aufgehört hat zu regnen“. Leser von Karl Ove Knausgard wissen, dass es in seinen voluminösen Alltagsmitschriften auch mal zwei-, dreihundert Seiten am Stück regnen kann.
Der literarische Hochadel
„Der Traum in uns“ ist das Motto des verglichen mit seiner reichen Literatur kleinen Norwegen. Die wichtigsten Autoren aus dem Norden werden in den nächsten Tagen diesem Traum zum Ausdruck verhelfen. Erwartet wird der gesamte literarische Hochadel des Landes, neben Karl Ove Knausgard, Tomas Espedal, Dag Solstad, Jo Nesbo, Jostein Gaarder, Maja Lunde, um nur die wichtigsten und bekanntesten der insgesamt hundert Abgesandten aus dem Gefolge des Lesezugs zu nennen, der von der Kronprinzessin Mette Marit persönlich angeführt wird. Am Dienstagmittag ist er mit Pomp auf dem Frankfurter Hauptbahnhof eingefahren.
Der Traum in uns korrespondiert mit dem Albtraum draußen. Mit einem fulminanten Auftritt hat der Gewinner des Deutschen Buchpreises am Montagabend die Literatur auf diesen Zwiespalt verpflichtet. Nur wer vor den schrecklichen Tatsachen draußen nicht die Augen verschließt, hat ein Recht, sich um die feinen Details der Innerlichkeit zu kümmern. So könnte man umschreiben, was der aus dem bürgerkriegsverwüsteten Bosnien stammende Sasa Stanisic in seiner wütenden Dankesrede der Serbensentimentalität des Literaturnobelpreisträgers Peter Handke entgegen schleudert. Und wie sich der leere Vorstellungsraum des norwegischen Pavillons vermutlich in den nächsten Tagen mit lebendigen Vorstellungen füllen wird, so hat Stanisic‘ Auftritt der diesjährigen Messe eine Aufschrift gegeben, in dem er die poetischen Freiheiten der Literatur strikt auf die Wirklichkeit verpflichtet.
Schimpfrede eines Wütenden
Ein wunderschönes Beispiel dafür ist sein zum besten deutschsprachigen Roman geadeltes Buch „Herkunft“, in dem sich Stanisic im Angesicht seiner Ahnen spiegelt und zugleich Ursprungsmythen außer Kraft setzt. Paradoxerweise erinnert Stanisic’ engagierter, effektvoller Auftritt an die andere Schimpfrede eines wütenden jungen Mannes gegen die „Beschreibungsimpotenz“ alter Männer: an Peter Handkes legendäre Abrechnung mit der Gruppe 47 bei deren Jahrestagung 1966 in Princeton.
Statt Beschreibungsimpotenz nun also politische Verantwortung, statt Handke die andere aktuelle Nobelpreisträgerin, die polnische Autorin Olga Tokarczuk. Auf der Durchreise zur Lesung in Stuttgart legt sie bei der Eröffnung der Buchmesse einen Zwischenstopp ein. Amüsiert nimmt sie zur Kenntnis, dass ihr in der Paarung die Rolle des Good Girl neben dem Bad Boy Handke zugefallen ist. Normalerweise sei die Rolle des Bad Girl immer ihre gewesen. Endlich könne sie es einmal andersherum genießen.
Alle Fäden sind verbunden
Tokarczuk spricht polnisch – und immer wieder vernimmt man in der schönen slawischen Melodie ihres Vortrags, wie Handke sagen würde, den Namen Bielefeld. Unterwegs in die Stadt habe sie der Anruf ereilt, in dem namenlosen Zwischenraum einer Autobahnraststätte. Dieser namenlose Zwischenraum sei eine Metapher für die Welt, in der wir leben. „Ich glaube an eine Literatur, die den Menschen verbindet, über Fragen der Hautfarbe, Herkunft und sexuellen Orientierung hinweg“, sagt die 1962 geborene Literaturnobelpreisträgerin: „Ich glaube an eine Literatur, die deutlich macht, dass wir auf einer tieferen Ebene alle an unsichtbaren Fäden miteinander verbunden sind.“
Die sympathische, auf Ausgleich bedachte Frau fühlt sich einer in Polen tief verwurzelten multikulturellen Tradition verbunden. Ihr Gewährsmann ist der Galizier Bruno Schulz, der aus vielen Einflüssen die schönste polnische Sprache geschaffen habe. Ihrer Überzeugung allseitiger Verbundenheit entspricht auch ihr Politikverständnis: „Alles ist heute politisch, unser Essen, unsere Lebensweisen und Kommunikationsformen, politisch ist vor allem unser Verhältnis zu den Schwächeren und Ausgeschlossenen. Der Wahlsieg der rechtskonservativen Pis-Partei in ihrer Heimat beunruhigt sie. Die Regierung versuche die Kontrolle über Museen und Theater zu erlangen. Glücklicherweise sei die Literatur nur auf Bleistift und Computer angewiesen. Umso besorgniserregender findet sie bei ihren Kollegen und Verlagen Anzeichen von vorauseilender Selbstzensur aus Furcht vor Konsequenzen.