Eine Integrationsmanagerin berät zwei Frauen. Foto: dpa

Die Nürtingerin Ragini Wahl ist seit nun schon 30 Jahren in der Flüchtlingshilfe tätig. Ehrenamtliche und Sicherheitspersonal können fehlende Sozialarbeiter nicht ersetzen, sagt sie.

Ragini Wahl arbeitet schon lange mit Flüchtlingen. Im Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten“ spricht sie über zu wenige qualifizierte Personen in der Flüchtlingsarbeit, fragwürdige Aktionen linker Gruppen und Reintegrationsprogramme .

Frau Wahl, die verhinderte Abschiebung eines Togolesen in Ellwangen ist nun rund einen Monat her. Hat Sie der Wirbel überrascht?
Überrascht hat mich, dass die Polizei zunächst nicht genügend auf möglichen Protest eingestellt war. Für den Protest der Flüchtlinge gab es sicher verschiedene Motive. Überrascht hat mich jedoch auch die Wucht unreflektierter wie aggressiver Angriffe auf die protestierenden Flüchtlinge und den Anwalt des Togolesen. Leider wurde die Demonstration nach dem Polizeieinsatz auch von außen instrumentalisiert.
Verharmlosen Sie mit dem Begriff Protest nicht die Geschehnisse?
Diese sind mir nur aus der Ferne vom Zeitungslesen bekannt. Ich gehe davon aus, dass es eine Mischung aus Protest einiger und Aggressionen anderer Flüchtlinge war.
Welche Rolle spielen für den Protest der Flüchtlinge das Konzept der Landeserstaufnahmestellen in Baden-Württemberg und die Idee der ihnen ähnlichen Ankerzentren?
Solche Einrichtungen ergeben nur Sinn, wenn die Personaldecke in allen Bereichen stimmt und die Anträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einzeln geprüft werden. Pauschal sichere Herkunftsländer festzulegen gehört zu geopolitischen Strategien, die auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen werden. Mit den Ankerzentren will man zugleich verhindern, dass diese Flüchtlinge in die Kommunen kommen. Dort würden die Bürger die Schieflagen mitbekommen und den Flüchtlingen helfen, was auch zu Protesten führen könnte.
Welche Schieflagen sehen Sie?
Es fehlen Sozialarbeiter in den Unterkünften, aber auch qualifizierte Mitarbeiter in der Verwaltung im Sinne einer Prozessoptimierung. Security-Mitarbeiter und Ehrenamtliche können kein Ersatz dafür sein. Die zu wenigen Hauptamtlichen sind angesichts der Zahlen in diesen Zentren fast immer überfordert. Sie schaffen es mit den unzureichenden Personalkapazitäten zeitlich gar nicht, allen, die neu ankommen, die Regeln des Zusammenlebens in Deutschland und in der Unterkunft zu vermitteln. Dabei wäre das so wichtig.
Inwiefern?
Die beste Prävention zur Konfliktminderung sind klare Regeln und eine positive Sozialkontrolle durch Hauptamtliche. Ein Teil der Flüchtlinge hat seit Längerem nicht mehr in staatlichen Strukturen gelebt, und sie haben eigene Strategien entwickelt, um durchzukommen. Sobald neue Flüchtlinge in eine Unterkunft einziehen, müsste man ihnen in Modulen ihre Rechte, ihre Pflichten, den Aufbau unserer Demokratie und unsere Werte vermitteln. Dies wäre für viele eine hilfreiche Orientierung und würde jenen, die unredliche Absichten verfolgen, die nötigen Grenzen im sozialen Miteinander aufzeigen.
Und was geschieht, wenn die Regeln dann doch gebrochen werden? Es fehlt doch auch an Sanktionen.
Ja, es fehlt zu oft an einer positiven Sozialkontrolle in diesen großen wie auch in den kleineren Einrichtungen für Asylsuchende. In Deutschland ist Drogenverkauf zum Beispiel strafbar. Die Folgen der Missachtung dieser Regeln sollten ebenso vermittelt werden. Gleiches gilt für Gewalt, sexuelle Übergriffe oder Mobbing gegen religiös Andersdenkende.
Die Wertevermittlung und Integrationsarbeit übernehmen derzeit meist Ehrenamtliche.
Richtig, es hat vielerorts bis 2013 gedauert, bis Behörden das überhaupt gemerkt haben. Umso fragwürdiger ist es, dass einige Behörden und Politiker der Bevölkerung pauschal suggerieren: Ehrenamtliche stiften Unruhe.
Aber es ist doch so, dass unter den Ehrenamtlichen auch welche sind, die versuchen, Abschiebungen zu verhindern.
Ich bin gegen Aktionen, die dem Flüchtling etwas vorgaukeln. Ich bin gegen das Untertauchen, jedoch für Kirchenasyl im Sinne von Ultima Ratio. Die meisten dieser Einzelfälle konnten mit dem Staat bislang positiv geklärt werden. Aktionen, die im Sinne von „Bleiberecht für alle“ stattfinden, unterstütze ich nicht.
Wieso nicht?
Die werden von politisch weit links agierenden Gruppen organisiert, die ein grundsätzliches Aber gegen den Staat haben und diesen aushebeln wollen. Dieses Ziel tragen sie auf dem Rücken der Flüchtlinge aus. Sie vermitteln ihnen, dass sie bleiben dürfen – komme, was wolle. Ein Teil der Ehrenamtlichen hängt auch dem Mythos an, es könne nur den „guten Flüchtling“ geben. Das ist für die gesellschaftliche Akzeptanz von Flüchtlingen kontraproduktiv. Es bräuchte eine ideologiefreie Debatte – auch bei den Parteien.
Und ein Einwanderungsgesetz. Viele beantragen nach wie vor Asyl, obwohl sie aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Sie haben kein Recht zu bleiben. Was schlagen Sie vor, um dieses Dilemma zu lösen?
Gewiss, ein Einwanderungsgesetz ist überfällig. Und es bräuchte mehr Reintegrationsprogramme in den gängigen Herkunftsländern. Die Rückkehr mit leeren Händen ist in den Herkunftsländern in der Regel ein schlimmer Gesichtsverlust. Das müsste nicht sein, wenn unsere Politiker ungleich mehr als bislang auf Wissens- und Ausbildungstransfer in den bekannten Herkunftsländern hinarbeiten würden, zum Beispiel in afrikanischen Ländern.