Manche Flüchtlinge müssen jetzt umziehen. Foto: dpa

Der Städtetag hatte noch für Aufschub plädiert, doch von Januar an gilt im Südwesten: jeder Flüchtling, der in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, hat Anspruch auf sieben Quadratmeter Wohnfläche. Wie gut sind die Kommunen vorbereitet?

Stuttgart - Mehr Puffer hätte sich der Städtetag Baden-Württemberg noch vom Innenministerium gewünscht. Ein weiteres Jahr, damit sich vor allem die großen Städte und Landkreise auf die neue Landesregel für die Unterbringung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften – die erste, vorläufige Station nach der Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea) – vorbereiten können. Einen Aufschub von zwei Jahren hat es schon gegeben. Mehr war nicht drin: Von Januar 2018 an hat jeder Flüchtling im Südwesten einen Anspruch von sieben statt bisher 4,5 Quadratmeter Wohnfläche in den Unterkünften – der Zwischenphase zwischen der Lea und der (im Falle eines anerkannten Bleiberechts) Anschlussunterbringung, die dann schon dauerhaften, „normalen“ Wohnverhältnissen gleichen soll. Was kommt auf die Stadt- und Landkreise zu – und sind sie dafür gewappnet?

Stadt Stuttgart: Schrittweise Umsetzung

Die Stadt Stuttgart wird die neue Vorgabe erst Schritt für Schritt umsetzen können. Wäre dies schon zu Beginn des Jahres möglich, „hätten wir in der Vergangenheit Überkapazitäten geschaffen“, sagt Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Er geht davon aus, dass bis Ende April „etwa 3600 Geflüchtete über sieben Quadratmeter Fläche verfügen“. Derzeit sind die rund 10 000 Plätze in städtischen Einrichtungen zu 73 Prozent belegt, Mitte Dezember waren dort 7319 Menschen untergebracht. In den kommenden Monaten werde man die Wohnverhältnisse sowohl für die Flüchtlinge in der vorläufigen Unterbringung als auch für die Anerkannten in der Anschlussunterbringung verbessern. Das sei „für den sozialen Frieden vor Ort zwingend“, betont Spatz. Die Umstellung bringe es mit sich, dass manche Flüchtlinge umziehen müssen. Man werden dabei „so gut als möglich alle sozialen Rahmenbedingungen“ wie den Besuch von Kindern in Kitas oder Schulen berücksichtigen, sagt Spatz. Integrationsbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) bekräftigt, man begrüße die Sieben-Quadratmeter-Regelung, „auch wenn sie die Stadt mehr Geld kostet“. Zumal viele der Bewohner, die in den Systembauten leben, dort mangels Alternative noch länger bleiben werden.

Kreis Ludwigsburg: Heftige Proteste

Im Kreis Ludwigsburg gibt man sich gelassen. Man habe sich schon im Laufe der Zeit auf die sieben Quadratmeter Wohnraum umgestellt und neue Unterkünfte entsprechend geplant, so Andreas Fritz, der Sprecher des Landratsamts. „Zurzeit sind etwa 3500 Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises in der vorläufigen Unterbringung.“ Engpässe zeichnen sich dagegen bei den Kommunen im Kreis Ludwigsburg ab: Die Stadt Ludwigsburg geht davon aus, dass sie 2018 bis zu 600 anerkannten Flüchtlingen Wohnraum bieten muss. Bisher gibt es aber nur Platz für 300. Als die Verwaltung ein Konzept für den Bau von vier Flüchtlingsunterkünften im Stadtgebiet vorlegte, war der Aufschrei groß. Geplant war der Bau von Cube-11-Modulen – würfelförmigen Holzhäusern, die die Ludwigsburger Wohnungsbau (WBL) entwickelt hat. Anders als Container sind sie für eine Nachnutzung – etwa als Studentenwohnheime – geeignet. Wegen des Bürgerprotestes, aber auch weil der Gemeinderat die Zustimmung verweigerte, musste die Verwaltung den Plan aufgeben. Wie es weitergeht, ist offen. Streit gab es auch, als die Städte Remseck und Kornwestheim im Sommer mitteilten, in Pattonville eine Unterkunft für 200 Flüchtlinge bauen zu wollen. Inzwischen ist man zurückgerudert: Von den 200 Plätzen sollen nur noch 80 Flüchtlingen vorbehalten sein. Die übrigen sollen als Sozialwohnungen angeboten werden.

Kreis Böblingen: Umstellung ist fast geschafft

Der Kreis Böblingen hat nach eigenen Angaben die Umstellung schon vollzogen. Lediglich in Einzelfällen, wenn eine Familie zusammen untergebracht ist, könne es derzeit noch zu einer geringfügigen Abweichung kommen. Aktuell verfüge der Landkreis bei einer Bemessung von sieben Quadratmetern Wohn- und Schlaffläche pro Person über insgesamt 1983 Plätze in den Gemeinschaftsunterkünften. Untergebracht seien derzeit 1646 Personen – das entspreche der Regelauslastung von 80 Prozent. Mit dieser Platzreserve könne man nicht nur steigende Aufnahmezahlen abfangen, sondern auch die Belegung der Unterkünfte sozial verträglich steuern, wenn zum Beispiel mehrere Familien und Alleinstehende aufgenommen werden müssen und man vermeiden möchte, dass sich Familien Unterbringungen teilen oder auch mit Alleinstehenden gemischt werden müssen. Der AK Asyl in Sindelfingen ist nicht glücklich über die Umsetzung der Anschlussunterbringung. Viele Flüchtlinge seien weiterhin in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Dies erschwere die Integration. Ziel müsse sein, den Leuten eigene Wohnungen zu geben.

Kreis Esslingen: Notquartiere wurden abgebaut

Der Kreis Esslingen schafft es aller Voraussicht nach, jedem Flüchtling in einer vorläufigen Unterkunft mehr Platz zur Verfügung zu stellen. „Wir rechnen mit einem Bedarf von rund 4000 Plätzen“, sagt Peter Keck, Sprecher der Kreisverwaltung. Darin enthalten ist ein Puffer von 600 Plätzen, welcher die 44 Städte und Gemeinden entlastet, die mit der Anschlussunterbringung in Verzug sind. Im Vorgriff auf die Neuregelung sind im Laufe des Jahres 613 neue Plätze geschaffen worden. Zugleich wurden Notquartiere abgebaut – zuletzt auch der seit Herbst 2013 bestehende Containerstandort bei der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule in Nürtingen.

Rems-Murr-Kreis: Der Durchschnittswert stimmt

Laut Angaben des Waiblinger Landratsamts erfüllt der Rems-Murr-Kreis in seinen rund 50 Gemeinschaftsunterkünften, deren Zahl im Frühjahr auf 38 reduziert werden soll, schon jetzt die geforderten Bedingungen – zumindest im Durchschnitt. Letzteres bedeute, dass den Geflüchteten „in den allermeisten Fällen“ sieben Quadratmeter oder mehr zur Verfügung stünden, so eine Sprecherin. Umbaumaßnahmen oder Probleme ergäben sich für die Kreisverwaltung durch die neuen gesetzlichen Mindestanforderungen nicht. Zuletzt waren in den Gemeinschaftsunterkünften des Rems-Murr-Kreises noch rund 2900 Personen untergebracht.

Kreis Göppingen: Warten auf den Anschluss

Für den Kreis Göppingen bedeutet die Neuregelung laut Wolfgang Munz von der Kreisverwaltung, dass weiter nahezu alle bestehenden Gemeinschaftsunterkünfte aufrechterhalten werden. Weil es zu wenig Wohnungen für die Anschlussunterbringung gibt, müssen viele Menschen länger als die vorgesehenen maximal 24 Monate in den Gemeinschaftsunterkünften ausharren. Das betrifft Munz zufolge von insgesamt 1900 Flüchtlingen derzeit rund 700 Menschen. Die Kreisverwaltung appelliert an die Kommunen, mehr Wohnraum zu schaffen. Mit gutem Beispiel ist Ebersbach vorangegangen. Die Kommune hat rund 770 000 Euro für zwölf Zweizimmerwohnungen in einer Containeranlage aufgewendet. Und Wäschenbeuren hat unlängst mit dem Filstalhaus das erste für diesen Zweck entwickelte Modulgebäude in Holzbauweise mit vier Wohnungen für Geflüchtete eingeweiht – Kostenpunkt: 640 000 Euro.

Auch viele andere Kommunen im Südwesten haben zunehmend Probleme, Flüchtlinge langfristig unterzubringen – und sie klagen über die finanzielle Herausforderung: Während das Land die Kosten für die vorläufige Unterbringung pauschal erstattet, sind die Gemeinden für die Unterbringung danach alleine zuständig.