Vergleichsweise über eine gut gefüllt Kasse gebietet der Kornwestheimer Rat. Foto: Peter Mann

In der Südpfalz tritt ein ganzer Gemeinderat samt Ortsbürgermeister wegen der angespannten Finanzlage zurück. Droht im Landkreis Ludwigsburg ein ähnliches Szenario?

Dass der geschlossene Rücktritt eines gesamten Gemeinderats samt Ortsbürgermeister von den eigenen Bürgern mit Applaus unterstützt wird, dürfte so einmalig sein wie der Vorgang selbst. Geschehen ist das vergangene Woche in Freisbach, einer 1200-Einwohner-Gemeinde in der Südpfalz. Als Gründe gibt Ortsbürgermeister Peter Gauweiler die großen finanziellen Löcher im Haushalt und die fehlende Unterstützung des Landes Rheinland-Pfalz an. Auch einige Gemeinden im Landkreis Ludwigsburg sind finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet und sogar die Sorgen sind ganz ähnliche.

„Es ist ein Aufschrei, der nicht unverständlich ist“, kommentiert der Ludwigsburger Oberbürgermeister Matthias Knecht den Fall Freisbach. Angespannt ist die finanzielle Lage auch in Ludwigsburg, allein der Bau des Bildungszentrum West (BZW) frisst 200 Millionen Euro. 50 weitere Projekte sind bereits beschlossen, sie brauchen bis 2027 zusätzliche Investitionen von rund 72 Millionen Euro. Ansonsten muss radikal gespart werden, obwohl es noch genügend Projekte umzusetzen gäbe.

Eigentlich sollten gleich mehrere Kitas und Hallen neugebaut oder zumindest saniert werden, auch die Stadtteilfeuerwehren haben ihre Wünsche nach neuen Gerätehäusern hinterlegt. Auch eine Runderneuerung des Zentralen Omnibus-Bahnhofs (ZOB) steht an. Hinzukommt etwa das Ziel der Stadt, bis 2035 klimaneutral zu werden, was ebenfalls die Sanierung einiger städtischer Gebäude sowie Neuanschaffungen beispielsweise in Sachen erneuerbarer Energien nach sich zöge.

Würde man all diese Projekte angehen, so Knecht, beliefen sich die Kosten in den kommenden zehn bis 15 Jahren auf mindestens drei Milliarden Euro. Also ein Vielfaches dessen, was das BZW kosten wird. „Deshalb ist das natürlich völlig unrealistisch, das können wir gar nicht leisten“, sagt der Oberbürgermeister. Es braucht also Unterstützung und die kommt etwa vom Land, Bund, der EU, man sei aber auch auf die freie Wirtschaft und die Privathaushalte angewiesen. „Und dann müssen wir eben priorisieren“, sagt Knecht.

Andere Städte und Gemeinden klagen ebenfalls über eine angespannte Finanzlage, es gibt aber auch Gegenbeispiele. In Bietigheim-Bissingen beispielsweise beschloss der Gemeinderat Ende Juli sogar einen Nachtragsetat, der einen positiven Jahresabschluss von mehr als sieben Millionen Euro erwarten lässt. Der Grund dafür liegt vor allem in den erheblichen Zuwächsen in Sachen Gewerbesteuer, die Stadt präsentierte dem Gemeinderat hier Mehreinnahmen in Höhe von neun Millionen Euro. Auch die Stadt Kornwestheim sieht sich auf Anfrage finanziell derzeit sehr gut aufgestellt, die großen städtischen Projekte wieder der Bau des Schulcampus Ost, die Sanierung der Pflugfelder Brücke oder die Umsetzung der Wärmewende seien derzeit nicht gefährdet.

Gemeindetag teilt Auffassung der Kommunen

Allerdings, Bietigheim-Bissingen und Kornwestheim scheinen damit mehr die Ausnahme als die Regel zu sein. So teilt etwa der Gemeindetag Baden-Württemberg, der größte kommunale Landesverband Baden-Württembergs, schriftlich seine Wahrnehmung mit, „dass die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen immer knapper werden. Es wurden und werden in der Summe zu viele Aufgaben auf diese übertragen, ohne dafür eine gesicherte und dauerhafte Finanzierung zu gewährleisten.“ Exakt das beklagt auch der Marbacher Bürgermeister Jan Trost: „Bestes Beispiel ist aktuell die neue Trinkwasserverordnung, die weit über die Vorgaben der EU hinausgeht und das Trinkwasser verteuern wird.“

Probleme mit Regelungen und Richtlinien sieht auch Matthias Knecht in Ludwigsburg: „Es gibt gesetzliche Vorgaben, die das Leben teurer machen.“ Und es gehe dabei nicht einmal nur um das Thema Finanzen, auch in Bereichen wie Geflüchtetenunterbringung, Klimaschutz, Bildung oder Betreuung sähen sich die Kommunen laut Knecht häufig zu hohen Standards ausgesetzt. Er denke dabei etwa an strenge Vorschriften, die große Bauprojekte in die Länge zögen, oder den Kita-Betreuungsschlüssel, dessen Anpassung neue Kita-Plätze schaffen könnte. „Natürlich sind die Richtlinien begründet. Aber wenn man sie nicht bewältigt bekommt, dann hilft es eben auch niemandem weiter“, findet Knecht.

„Es gibt den ein oder anderen, der nicht mehr antreten wird“

Gedeckt wird diese Auffassung vom baden-württembergischen Gemeindetag, der in einem Positionspapier vom September 2022 schreibt: „Fast jeder zusätzliche Standard kann für sich betrachtet gut begründet werden. Es ist die Summe der Standards, die letztlich die laufenden Ausgaben und den Personalbedarf der öffentlichen Hand in einem Maße nach oben getrieben hat, dass die Luft für Zukunftsgestaltung fehlt.“ So der Gemeindetag vor knapp einem Jahr.

Die Auswirkungen davon seien schon heute in der Kommunalpolitik zu spüren, sagt Knecht. „Es gibt sicher den ein oder anderen Gemeinderat, der unter den aktuellen Bedingungen bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr nicht mehr antreten wird.“