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Wissenschaftler Ulrich Häde rät den Südländern von einer Klage gegen den Länderfinanzausgleich ab.

Stuttgart - Baden-Württemberg will neu über den Länderfinanzausgleich verhandeln. Das sei auch vernünftig, meint der Rechtsprofessor Ulrich Häde – denn bei einer Klage in Karlsruhe könnte der Schuss nach hinten losgehen.


Herr Häde, Bayern, Hessen und BadenWürttemberg wollen den Finanzausgleich aufschnüren und drohen mit einer Verfassungsklage. Was empfehlen Sie den anderen Ländern: Verhandeln oder stur bleiben?
Verhandeln ist immer besser. Für die drei großen Geberländer ist es schwer hinzunehmen, dass sie schon seit vielen Jahren so viel in den Finanzausgleich einzahlen. Ich empfände es als ungut, wenn die anderen das mit ihrer großen Mehrheit ausnutzen würden. Das System gilt ja ohnehin nur bis 2019, es besteht also Verhandlungsbedarf.

Politisch mag der Wunsch nach einer Reform ja legitim sein. Aber kann man diese auch erzwingen? Wie aussichtsreich wäre denn eine Klage in Karlsruhe?
Aus meiner Erfahrung von 1999, als sich Karlsruhe zuletzt mit dem Finanzausgleich befasste, halte ich die Erfolgsaussichten für relativ gering. Damals gab es einige kleinere Änderungen zugunsten und auch zuungunsten der großen Geberländer, so dass sich nichts Wesentliches geändert hat. Die Länder müssen einfach davon ausgehen, dass das Grundgesetz einen angemessenen Ausgleich vorschreibt. Das ist Ausdruck der bundesstaatlichen Solidarität.

Ein wesentlicher Einwand lautet, das System sei leistungsfeindlich. Denn auch die Nehmerländer müssen ja jeden zusätzlichen Euro sofort mit den anderen teilen. Ist das nicht eine Einladung zum Blaumachen?
Der Finanzausgleich gewährt jenen Ländern, deren Einnahmen unter dem Durchschnitt liegen, eine gewisse Auffüllung. Somit ist es selbstverständlich, dass diese Zusatzeinkünfte sinken, wenn die eigenen Steuereinnahmen wachsen. Es haben ja alle Länder im Wesentlichen dieselben Aufgaben und deshalb jedenfalls grundsätzlich auch ähnlich hohe Ausgaben. Von daher müssen sie auch ähnliche Einnahmen pro Kopf der Bevölkerung haben. Deshalb glaube ich, dass das bisherige System relativ gerecht ist.

Werden erfolgreiche Länder wie Baden-Württemberg nicht ausgebremst? Der Abstand zu den Nehmerländern ist doch nach dem Finanzausgleich erheblich geringer als vorher.
Das Ausgleichsvolumen lag 2011 bei insgesamt 7,3 Milliarden Euro. Ich denke, dass etwa 80 Prozent der Mittel nach Berlin und in die ostdeutschen Länder fließen. Da der Osten noch immer nur eine Steuerkraft von 50 bis 60 Prozent des Länderdurchschnitts hat, ist es einfach nötig, dass man ihn weiterhin aus der Solidargemeinschaft unterstützt. Ich glaube, das ist eine Aufgabe der noch nicht vollendeten wirtschaftlichen Wiedervereinigung Deutschlands. Was kann man dagegen einwenden?

Zum Beispiel, dass sich Berlin kostenlose Kindergärten leistet, während der Süden, der selbst Gebühren für die Betreuung verlangt, dies bezahlt.
Die Mittel aus dem Finanzausgleich sind nicht an einen Zweck gebunden. Jedes Land kann grundsätzlich selbst bestimmen, wie es sie verwendet. Und ist das Geld in Berliner Kindergärten wirklich so schlecht angelegt? Ich verstehe allerdings, dass die Bürger in Baden-Württemberg sagen: Wir können uns das nicht leisten. Allerdings muss Berlin dafür an anderer Stelle mehr sparen als der Süden.

Wie kann man rechtfertigen, dass die Bevölkerung der Stadtstaaten nicht zu 100, sondern zu 135 Prozent zählen – dass sie also mehr wert sind als andere?
Das ist tatsächlich ein Problem. Über die sogenannte Einwohnerveredelung wird deshalb schon seit Jahrzehnten gestritten. Diese Regelung gibt es allerdings auch im kommunalen Bereich. Ich habe mal im baden-württembergischen Finanzausgleichsgesetz nachgesehen, dort gibt es ebenfalls gestaffelte Werte. Gemeinden mit 3000 oder weniger Einwohner zählen zum Beispiel nur 100 Prozent, die Einwohner von Stuttgart hingegen 186 Prozent. Damit wird berücksichtigt, dass in größeren Städten ein größerer Bedarf besteht. Baden-Württemberg hätte also ein Problem, dies grundsätzlich zu kritisieren.

Die Steuereinnahmen der Gemeinden zählen im Finanzausgleich mit, allerdings nur zu 64 Prozent. Warum eigentlich?
Auch das ist eine Streitfrage. Bis vor einigen Jahren wurden die kommunalen Einnahmen sogar nur zu 50 Prozent einberechnet. Man hat sich dann nach dem letzten Karlsruher Urteil auf 64 Prozent geeinigt. Über diesen Wert kann man unterschiedlicher Meinung sein. Denn die Einnahmen der Länder und jene der Gemeinden kommen denselben Menschen zugute. Von daher spricht einiges dafür, dass man beide zusammenrechnet und daraus die Finanzkraft ermittelt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Abschlag allerdings akzeptiert, weil es damit den besonderen Finanzbedarf der Kommunen berücksichtigt.

Aber die Kommunen sind doch nicht alle gleich.
Deshalb habe ich ja große Zweifel, dass ein pauschaler Abschlag richtig ist. Würde man die kommunale Finanzkraft zu 100 Prozent berücksichtigen, hätte das übrigens für die reicheren Länder, also auch für Baden-Württemberg, erhebliche Zusatzzahlungen zur Folge. Das zeigt, wie riskant ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sein könnte.

Manche Nehmerländer verlangen, auch andere Geldströme wie die Forschungsförderung in die Finanzverhandlungen einzubeziehen. Was halten Sie davon?
Natürlich gibt es noch andere Geldströme, denken Sie etwa an den Ausgleich zwischen den Sozialversicherungen und den Krankenkassen, die hier ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Aber auch bei der Forschungsförderung bin ich zurückhaltend. Denn diese Mittel sind im Unterschied zum Finanzausgleich zweckbestimmt. Deshalb sollte man sie auch gesondert behandeln.