Zum Finale der Lesart trifft Jazz auf Literatur: Michel Godard (rechts) am Serpent und Patrick Bebelaar am Flügel. Foto: /Rainer Kellmayer

Mit dem traditionellen Literaturfest endeten im Jazzkeller die 28. Literaturtage Lesart der Stadtbücherei Esslingen und der Eßlinger Zeitung.

Für viele Fans der Lesart ist das Literaturfest Kult. Auch diesmal waren die Karten fürs Finale heiß begehrt. Im voll besetzten Jazzkeller wurde das Publikum mit hochkarätiger Musik verwöhnt, und Autorinnen und Autoren aus dem Esslinger Raum lasen aus ihren Büchern. „Wir wollen heute qualitätvolle Literatur hören, schöne Musik genießen und so den Abschied vom diesjährigen Literaturfestival feiern“, sagte die Büchereileiterin Gudrun Fuchs, die zusammen mit EZ-Redakteur Alexander Maier durch den Abend führte.

Dass sich moderner Jazz und aktuelle Literatur aufs Beste ergänzen, zeigte sich, als der Tubist Michel Godard ins Horn stieß. Frappierend war nicht nur die perfekte Abstimmung mit Patrick Bebelaar am Flügel: Die inspirierten Chorusse der beiden Jazzgrößen begeisterten in „One for Minds“ ebenso wie die urigen Tubatöne. Und als Godard sein Serpent – ein Blasinstrument aus der späten Renaissance – auspackte, staunten die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht nur über die schlangenartig gewundene Form: Die sanften, erdigen Töne, die Godard dem klappenlosen Bassinstrument entlockte, ließen das Auditorium staunen.

Bühne für regionale Autorinnen und Autoren

Erstmals hatte Dominique Caina das Erwachsenenprogramm der Esslinger Lesart kuratiert. Im Gespräch mit Alexander Maier zeigte sie sich begeistert: „Wir haben in der Stadtbücherei ein tolles Team.“ Und auf die Frage, nach welchen Kriterien sie die Autoren und Bücher auswähle, sagte Caina: „Ich höre mir verschiedene Lesungen an und erhalte auch immer wieder Anregungen von Bekannten. Zudem empfehlen uns einschlägige Verlage aktuelle Bücher, und gelegentlich werden uns Vorabdrucke zur Verfügung gestellt.“

Der literarische Teil des Abschlussfests stand ganz im Zeichen regionaler Autorinnen und Autoren. Mit Sonja Ruf stellte sich eine Literatin vor, die im Jahr 2000 Bahnwärter-Stipendiatin in Esslingen war. In ihrem Buch „Das Flussbad-Wunder“ begegnen die weiblichen Protagonistinnen der fünf Erzählungen Schwarzarbeitern, Callboys, Psychologen, Animateuren, Bettlern und Autowäschern. In ihrer Lesung berichtete Ruf vom Unfall eines Schwarzarbeiters, einer aufregenden Reise von Leipzig nach Breslau, und von 28 000 Mark, die in einem Rinderherz geschmuggelt werden. Spannend und in eingängiger Sprache geschilderte Erlebnisse in einem Hotel in Polen gaben einen Einblick in die Abgründe menschlicher Beziehungen.

Das aktuelle Thema Kindesmissbrauch nimmt Lisa Straubinger in ihrem Buch „Schwarz Wald Nacht“ auf. In bildhafter Sprache berichtet sie in der atmosphärisch dichten Erzählung vom problematischen Verhältnis des Mädchens Sani zu seinem Vater, dem es zu entfliehen sucht. Eine Bombe kommt ins Spiel, doch am Ende bleibt der Ausgang offen: „Wenn Sie wissen möchten, wie die Geschichte endet, können Sie in meinem Buch weiterlesen“, empfahl die Autorin den Gästen.

Con Coronamasken und Damenunterhosen

Nach dieser geballten Dramatik brachte der humorige Vortrag des Esslinger Autors Olaf Nägele Entspannung. In seinem Buch „Hammerhart“ sucht er Antworten auf so wichtige Fragen wie „Welche Figuren sind typisch für Männer-Yoga?“ oder „Ist es eine gute Idee, mit fünf Halbwüchsigen einen Horrorfilm zu sehen?“. Die Antworten darauf waren ebenso launig wie die erheiternde Diskussion mit Büchereileiterin Gudrun Fuchs über Coronamasken und Damenunterhosen.

In die heitere Stimmung des Abends mischte sich jedoch ein Wermutstropfen, als Alexander Maier Gudrun Fuchs, die im Frühjahr in den Ruhestand gehen wird, einen Blumenstrauß überreichte. „Unsere stets fantastische Zusammenarbeit bei der Lesart wird mir fehlen“, bedauerte Maier. Auch er kündigte an, seinen Part beim Literaturfest in andere Hände zu übergeben.

Dass das Finale der Esslinger Lesart nicht in wehmütigen Gedanken endete – dafür sorgten Patrick Bebelaar und Michel Godard mit zündendender Musik. Godard verblüffte das Publikum im Jazzkeller mit einem turbulenten, gelegentlich recht kratzbürstigen Tubasolo. Und als das begeisterte Auditorium noch mehr wollte, ließen das Duo Bebelaar-Godard das Literaturfest mit den ruhigen Melodielinien von „The River leads to you“ ausklingen.

Das Literaturfestival Lesart

Zielsetzung
Mit den Literaturtagen wollen Stadtbücherei und Eßlinger Zeitung einem breiten Publikum aktuelle Literatur näherbringen: Die Begeisterung am Lesen soll geweckt werden. Der Schwerpunkt liegt auf Literatur aus dem deutschsprachigen Raum, doch auch internationale Autoren sind mit Büchern vertreten, die in die deutsche Sprache übersetzt wurden. Es gibt Lesungen für Erwachsene, Schulbesuche und Veranstaltungen für Kinder.

Autoren
Thematisch war Lesart 2022 mit ihren mehr als 30 Veranstaltungen breit gefächert. Mit Yade Yasemin Önder kam eine der spannendsten Stimmen der aktuellen Literatur zu Wort. Volker Kutscher gab einen Einblick in die Krimiwelt, und mit Marie Gamillscheg und Fatma Aydemir stellten sich preisgekrönte Autorinnen vor. Gesellschaftspolitische Themen griffen die Sachbuchautoren Nora Bossong und Nick Reimer auf.

Resümee
Das Team um Büchereileiterin Gudrun Fuchs blickt auf eine erfolgreiche Lesart 2022 zurück. Die Veranstaltungen, im Erwachsenen- wie im Kinderbereich, seien vom Publikum sehr gut angenommen worden, so das Fazit der Veranstalter.