Rüdiger Safranski (rechts) im Dialog mit dem Kulturjournalisten Uwe Kossack. Foto:  

Die Esslinger Literaturtage Lesart präsentieren bis 3. Dezember 25 Autorinnen und Autoren, die für Kinder, Jugendliche und Erwachsene lesen. Zu Auftakt erwies das Festival dem Autor, Philosophen und Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski die Ehre.

Unsere Geistesgeschichte ist reich an bedeutenden Denkern und ihren Werken. Manches droht jedoch in Vergessenheit zu geraten, anderes braucht jemanden, der zeigt, welche Wunderwelten sich hinter schwer zugänglichen Türen verbergen können. Der Literaturwissenschaftler, Philosoph und Autor Rüdiger Safranski hat schon so manche Tür geöffnet. Er hat seiner Leserschaft bedeutende Persönlichkeiten nahegebracht und zeitlos aktuelle Themen tiefgründig ausgelotet. Mit einigen seiner Bücher war Safranski bereits bei den Esslinger Literaturtagen zu Gast. Nun wurde ihm eine besondere Ehre zuteil: Der Lesart-Auftakt am Sonntag wurde zur Hommage an einen Mann, der es bei aller intellektuellen Finesse versteht, große Autoren und deren Gedanken lebendig werden zu lassen. So, wie es auch der Anspruch der Lesart ist.

„Kulturstadt par excellence“

Oberbürgermeister Matthias Klopfer hat Esslingen als „Kulturstadt par excellence“ kennengelernt, und die Literaturtage tragen wesentlich zu diesem Ruf bei. Klopfer dankte bei der Festivaleröffnung in der Württembergischen Landesbühne (WLB) dem Mitveranstalter „Eßlinger Zeitung“ (EZ) und der Stiftung der Kreissparkasse für deren Unterstützung – besonders bedankte er sich bei Büchereileiterin Gudrun Fuchs und ihrem Team, denen es immer wieder gelinge, herausragende Autoren zu holen. Dass der Unterstützerkreis der Stadtbücherei vor der WLB für die Erweiterung und Modernisierung der Bibliothek warb, hatte der OB wohl registriert. Er kündigte an, die Bücherei werde saniert, allerdings „nicht so groß wie von vielen gewünscht“. Der „EZ“-Chefredakteur Johannes M. Fischer rückte in seiner Rede die Bedeutung der Literatur in den Mittelpunkt. In einer Zeit, in der viel Geld ganz selbstverständlich in Waffen investiert werde, fragt er sich, ob es der Menschheit nicht guttun würde, sich mehr mit Büchern zu beschäftigen: „Würden mehr Menschen ihre Zeit mit Lesen, Schreiben und Nachdenken verbringen, wäre unsere Welt ein wenig empathischer.“

Mit Rüdiger Safranski eröffnete ein Hochkaräter die 28. Esslinger Literaturtage. Der 77-Jährige kehrt mit seiner jüngsten Buchveröffentlichung, einer Biografie des Romantikers E. T. A. Hoffmann, zu seinen Anfängen als Autor zurück: Die Lebensgeschichte des Schriftstellers, Juristen, Komponisten, Kapellmeisters, Musikkritikers, Zeichners und Karikaturisten hat Safranski bereits 1984 veröffentlicht – zu Hoffmanns 200. Todestag erschien nun eine um ein Nachwort erweiterte Neuausgabe. In den 80er Jahren arbeitete Safranski noch als Literaturwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin, seine Studie über den unkonventionellen Romantiker Hoffmann sollte eine Habilitationsschrift werden, wie Safranski im Lesart-Dialog mit dem Kulturjournalisten Uwe Kossack verriet: „Doch für den Wissenschaftsbetrieb fand man meinen Text zu literarisch, für den Literaturbetrieb war er manchen zu akademisch.“ Weil ihn das literarische Schreiben faszinierte, wandte er sich mehr und mehr diesem Genre zu. Und er hat diese Entscheidung nie bereut.

„Neugier muss da sein“

Wer Safranski zuhört, der spürt, dass er beseelt ist von der Beschäftigung mit großen Denkern und Literaten. Er möchte ihnen gerecht werden und nichts überstülpen. Deshalb hat er den Anspruch, in ihre Gedankenwelten einzutauchen und zu einem tieferen Verständnis ihrer Persönlichkeiten und ihrer Werke zu gelangen. „Es muss eine gewisse Leidenschaft, eine Neugier da sein“, nannte er eine Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Buch. Um diese Beziehung aufzubauen, beschäftigt sich Safranski intensiv mit Originaltexten der jeweiligen Autoren – ihren literarischen Werken, aber auch ihrer Korrespondenz.

„Ich möchte in jeder Biografie das Leben eines großen Geistes lebendig werden lassen. Der Schlüssel sind die Primärquellen“, betonte Rüdiger Safranski bei der Lesart. „Ich könnte kein Buch hervorbringen, das aus den Meinungen anderer heraus entsteht.“ So hat er sich auch Goethe genähert, von dem er nach der Lektüre unzähliger Briefe sagt: „Ich kenne kaum einen lebenden Menschen so gut wie ihn.“

Dass die Beschäftigung mit bedeutenden Dichtern und Philosophen für ihn nie etwas von ihrer Faszination verlieren wird, ist für Rüdiger Safranski keine Frage: „Viele dieser Werke sind etwas Besonderes – das Wissen um sie darf nie verloren gehen. Manchmal ist es ein Gefühl, als würden Teile eines Kontinents abdriften. Ich will helfen, ihn zusammenzuhalten.“ Denn durch viele bedeutende literarische Werke wehe ein zeitlos aktueller Geist: „Im Leben gibt es viele Zwänge, aber auch die wunderbaren Spielräume der Freiheit. Geschichte geschieht nicht einfach – sie liegt in den Händen der Menschen.“

Rüdiger Safranski und sein Werk

Autor
 Rüdiger Safranski wurde 1945 in Rottweil geboren und hat sich als Literaturwissenschaftler, Philosoph und vielseitiger Autor profiliert. Seine Biografien über große Dichter und Denker wie Schopenhauer, Heidegger, Nietzsche, Schiller und Goethe wurden in viele Sprachen übersetzt. In großen philosophischen Essays hat sich Safranski Themen wie der Wahrheit, dem Bösen, der Romantik und der Globalisierung gewidmet. Zuletzt ging er unter dem Titel „Einzeln sein“ der aktuellen Frage nach, wie wir damit zurechtkommen, auf uns allein gestellt zu sein. Für seine Arbeit wurde er wiederholt mit Preisen ausgezeichnet.

Buch
 Rüdiger Safranskis jüngste Buchveröffentlichung ist eigentlich ein Comeback: In seiner Biografie des Romantikers E. T. A. Hoffmann hat Safranski bereits 1984 das Leben dieses „skeptischen Phantasten“ beleuchtet. Im Hanser-Verlag ist dieses Standardwerk nun in einer erweiterten Auflage erschienen.