Etwas Schonfrist hat Gerhard Steck noch. Er ist 48 Jahre alt. Derzeit sieht es aber so aus, als ginge mit seinem Ruhestand eine Familientradition zu Ende. Foto: Judith A. Sägesser

Die wenigsten Landwirte wissen, wie es mit dem Betrieb nach ihrer Zeit weitergeht. Das ist ein Tabu-Thema.

Stuttgart-Plieningen - Der Pflug hat für heute Feierabend, Gerhard Steck noch nicht ganz. Seine Hühner warten auf ihr Abendfutter. Bevor der Landwirt sich auf den Weg macht, gönnt er sich eine Pause in der Bauernstube. Draußen ist es nasskalt, im Ofen knistern die Holzscheite. „Ich sag’ immer, das Holz wärmt dreimal, beim Machen, beim Spalten und nachher im Ofen.“

An den Wänden hängen Ausschnitte aus der Familiengeschichte. Das Mädchen auf dem Gruppenbild ist seine Großmutter, für ein anderes hat ein Fotograf seine Onkel zusammengeschnitten. Der eine ist im Krieg gefallen, der andere ist verschollen. Gerhard Steck umgibt sich gern mit diesen Erinnerungen, er hat etwas übrig für Traditionen. Daher war für den 48-jährigen Plieninger klar, dass er den väterlichen Hof weiterführen würde.

Seit Mitte der 1990er Jahre ist Gerhard Steck der Herr über das Anwesen und die Äcker. Beim Vater standen noch Kühe im Stall, der Junior hat sich indessen auf Gemüse spezialisiert. Seither verdient er sich sein Geld mit Filderkrautköpfen, Lauch, Kartoffeln, Karotten, Getreide und Sellerie. Er sagt, die Landwirtschaft sei sein Leben.

„Früher oder später kommt das ja auf jeden zu“

Über die Vergangenheit und die Gegenwart spricht es sich leichter als über die Zukunft. Mit seinen 48 Jahren hat Gerhard Steck zwar noch Schonfrist, aber das Problem rückt Tag für Tag näher. „Schleichend, latent ist es da“, sagt er. So wie es aussieht, wird es mit dem Hof in Plieningens Mitte wohl zu Ende gehen, wenn Gerhard Steck nicht mehr kann. Dann schließt sich das letzte Kapitel einer 300-jährigen Historie. Seine Frau und er hätten gern Kinder gehabt, aber es sollte nicht sein. Nun fehlt ihm der Stammhalter. Wenn Gerhard Steck darüber spricht, senkt er den Blick und faltet die Hände vor dem Bauch. Die Aussicht macht den Mann, der wirkt, als könnte eine Menge an ihm abprallen, traurig. Anders als viele seiner Kollegen redet er trotzdem darüber. „Früher oder später kommt das ja auf jeden zu“, sagt Gerhard Steck.

„Ein heikles Thema“, sagt Helmut Gehrung über die Hofnachfolge. Der landwirtschaftliche Obmann aus Plieningen vertritt die Interessen der Bauern im Flecken. Von den 16 Betrieben habe schätzungsweise die Hälfte jemanden, der die Geschäfte weiterführt. Dass sich die meisten diesbezüglich bedeckt halten, erklärt sich Gehrung mit zunehmendem Konkurrenzdenken. „Hier gilt: jeder gegen jeden“, sagt er. Und wenn einer aufhört, bedeute das für den Rest vor allem eines: Es gibt Felder zu kaufen. „Die Leute sind scharf auf jeden Meter.“

In Degerloch, Plieningen, Sillenbuch, Vaihingen und Möhringen gibt es 54 landwirtschaftliche Betriebe. Laut einer Erhebung der Stadt Stuttgart aus 2008 und 2009 ist bei zehn die Nachfolge geregelt. Ein Bild, das sich landesweit widerspiegelt. In Baden-Württemberg ist bei gerade einmal 6188 von 27 .225 Höfen klar, dass es in Zukunft weitergeht.

Die Leidenschaft zum Beruf gemacht

Christian Vieth hat die Misere der Bauern zur Geschäftsidee gemacht. Der Betreiber des Internetportals hofgruender.de vermittelt seit 2008 Höfe an junge Landwirte. Denn während es den einen am Nachwuchs mangelt, gibt es zig angehende Bauern, deren Eltern mit Stall und Feld nichts zu schaffen hatten oder die keinen Hof erben werden. Zahlen über gelungene Vermittlungen gibt es keine, im vergangenen Jahr hat hofgruender.de mehr als 3000 Kontakte hergestellt, wie Vieth sagt. Tendenz steigend.

Eine solche Online-Börse wird Konrad Ehlers wohl nicht brauchen. Seine Tochter Sophie, Anfang 20, erwägt, die Geschäfte zu übernehmen. Die Geschäfte sind in diesem Fall eine Pferdepension. In den 1990ern hat die Familie den Klingenhof bei Plieningen gebaut. Der herkömmliche Bauernhof der Schwiegereltern am Fuße der Martinskirche hatte nichts mehr abgeworfen. Also hat Konrad Ehlers seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. „Wir haben nach einer Nische gesucht“, sagt er. Für ein paar Dutzend Pferde bietet der studierte Agrarwissenschaftler seither Kost und Logis. Wie viele es genau sind, behält er lieber für sich.

Kein Geheimnis ist derweil, dass die Leute in wirtschaftlich mauen Zeiten lieber auf Pferde verzichten. Der Klingenhof bringt immer weniger ein. Daher würde Ehlers seiner Tochter nicht verübeln, wenn sie nicht weitermacht. „Sie kann frei entscheiden“, sagt Ehlers. Ihre Bedenkzeit ist begrenzt, der Vater ist 61 Jahre alt.

Gerhard Steck weiß: Selbst wenn er Kinder hätte, würde das nicht automatisch heißen, dass sie die Tradition fortführen. „Da hat man auch keine Garantie.“ Nun sind aber die Hühner dran. Das Federvieh wartet nicht gern. Also schiebt der Bauer noch ein Holzscheit in den Ofen, macht sich auf und vergisst die trüben Gedanken an die Zukunft. Wenigstens für diesen Abend.