20 Personen aus 20 Haushalte dürfen sich jetzt wieder treffen: Der Red Ladys Club Stuttgart hat die rote Maske in der Stuttgarter Factory aufgesetzt. Der einzige Mann ist OB-Kandidat Frank Nopper, die anderen Kandidaten sollen folgen. Foto: Andreas Engelhard

Ausgehen, sich schön machen, „unter d’ Leut’ komma“ – Stuttgarts wahre Partyszene kehrt zurück. Der Terminkalender quillt über. Immer mehr Veranstalter sind kreativ genug, um Corona-konforme Events zu feiern.

Stuttgart - Julia Böcklen, Württembergs Weinkönigin von 2019, kam im topmodischen Jumpsuit, rot geschminkt und schick frisiert. Zu einem Rundgang auf dem Weingut von Thomas Diehl in Rotenberg war sie eingeladen, nicht zu einem Fest. Der Jungwinzer trug Jeans mit T-Shirt und wunderte sich über das tolle Outfit seines Gastes. Viele Wochen sei sie im Homeoffice daheim gewesen, ihr Ausgehen habe sich auf den Besuch des Supermarktes beschränkt, sagte die Weinhoheit, sodass sie jetzt große Lust habe, sich schön zu machen.

So geht es vielen in der Stadt. Der Red Ladys Club ist happy, sich wieder treffen zu können. Rot tragende Society-Ladys treten „für Toleranz, Respekt, Vielfalt“ und „gegen Diskriminierung“ ein. In der Stuttgart Factory gab’s am Donnerstagabend nach langer Coronapause ein Wiedersehen – Designer Tobias Siewert hatte für alle eine rote Maske genäht. Die Damen brauchen es, sich auszutauschen, anzustoßen und die Welt zu besprechen. Nun wollen sie den OB-Kandidaten ihr rotes Anliegen der Schwesterlichkeit vortragen und haben mit Frank Nopper (CDU) begonnen. Nach langem Daheimbleiben ohne Kultur, Klatsch und Partys tut ihnen die Rückkehr zu ein bisschen Normalität gut. 20 Menschen aus 20 Haushalten dürfen sich jetzt treffen. Wenn 20 Damen zusammen sind, hört sich das an, als wären es 40.

Etliche Konzerte beim Kulturwasen sind ausverkauft

Stuttgart beweist, Kulturstadt auch in schwieriger Zeit zu sein. Würde es eine Auszeichnung für die kreativste Bühne Deutschlands in der Pandemie geben, die Staatsoper hätte sie verdient. Die Neuinszenierung der „Zauberflöte“ hat Mozart auf den Wasen, an den Ort des Volksfestes und der Stampfmusik, gebracht und Klassik zu Popcorn ermöglicht. Faszinierend, wie Veranstalter in kurzer Zeit aus der Schockstarre erwacht sind und neue Formate blitzschnell in die Welt setzen. „Klar, das Thema Autokino hat sich etwas totgelaufen“, sagt Christian Doll vom Kulturwasen, zu dem bisher 35 000 Gäste kamen. Doch wer sich weiterentwickele, könne erfolgreich bleiben. Die Corona-Lockerungen machen es möglich:Nun gibt’s beim Festival am Neckar 250 Außenplätze, je vier Liegen in getrennten Boxen. Dies sorgt für neuen Andrang. Ausverkauft ist die Band SDP am Samstag sowie in den nächsten Tagen Bülent Ceylan, die Orsons, Alligatoah und die Pochers.

„Ausnahmslos alle finden das Format gut“

Beim Livesommer wird der Flughafen-Parkplatz 0 dank Nena am 11. Juli voll. Wirtschaftlich lohne sich das Festival kaum, sagt Paul Woog von SKS Russ: „Bei regionalen Themen waren oft nur Karten für um die 100 Autos verkauft.“ Inzwischen sei es erlaubt, Fenster und Türen zu öffnen. Das Gefühl verschwinde, im Pkw eingezwängt zu sein. „Ausnahmslos alle finden das Format toll und haben Spaß“, sagt Woog. Wichtig sei es, in Krisenzeiten Flagge zu zeigen. Ein weiterer Pluspunkt aus seiner Sicht: „Die Tonqualität ist im Vergleich zu Open-Air-Konzerten über den Stream klar besser.“

Ein besonderes Highlight war der Livesommer für Sängerin Kim, die beim Wettbewerb unserer Zeitung einen Auftritt bei Popstar Joris gewonnen hat, der sie aus der Fülle der Einsendungen ausgewählt hat.

Events beim Neckar Käpt’n mit Babs Steinbock und Alegra Cole

Beim Kastellsommer ist mit dem Sophisticated Orchestra von Bandleader Andrew Andrews, mit einer Hommage an die Swing-Ära, die nächste Stufe im wunderschönen Ambiente gezündet worden: Nach Kino und Oper werden nun auch Konzerte im Freien vor der Phoenixhalle gespielt – statt bisher vor 99 nun vor 190 Gästen mit Abstand .

Der Terminkalender wird voll und voller. Ob im Freien vorm Theaterhaus (am 17. Juli feiert die Reihe „Sommer im Hof“ Premiere mit Walter Sittler und Barbara Auer), ob im Modeatelier (am Samstag eröffnet Designerin Eglantina Frokku ihr neues Geschäft im Westen mit einer Modenschau), ob Events beim Neckar Käpt’n (am Sonntag gibt Babs Steinbock ihr Debüt als Besenwirtin, für 11. Juli lädt DJane Alegra Cole zu „Ibiza auf dem Neckar“ ein), ob Musical im Weingut Warth in Untertürkheim (am Sonntag mit „Das schöne Biest“) – die Zeit des Runterschaltens ist vorbei. Die Stadt dreht voll auf.

Theatersommer im Pfarrgarten der Schauspielbühnen

Die Schauspielbühnen bitten zum „Theatersommer im Pfarrgarten“ von St. Theresia in Weilimdorf immer donnerstags. Monika Hirschle machte den Anfang mit ihrem Solo, zog aber wetterbedingt in den Gemeindesaal um. Gäste bringen Stühle und Picknickkörbe mit. Clublegende Laura Halding-Hoppenheit eröffnet am kommenden Mittwoch ihren KC im Exil unweit des Tagblattturms mit Außenbereich. Ohne Ende geht das so weiter. Erst war wochenlange nix los, jetzt ist alles fast gleichzeitig.

Den Menschen gefällt es, sich wieder schön zu machen. Man hat gelernt, wie man mit Corona umgehen muss. Damit hat das Virus an Schrecken verloren. Und doch wächst die Gefahr, dass man dabei sorglos wird. Die wahre Partyszene von Stuttgart erwacht – aber bitte mit Ab- und Verstand!