Der Fall des Studenten, der einen jüdischen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen und getreten haben soll, schlägt weiter hohe Wellen. Eine Senatorin gerät unter Druck.
Die Debatte über den Umgang mit dem tatverdächtigen Studenten im Fall Lahav Shapira wird schärfer: Berlins Wissenschaftssenatorin sieht sich nach Äußerungen im RBB Rücktrittsforderungen ausgesetzt. Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle warf der SPD-Politikerin Ina Czyborra am Mittwoch Verharmlosung und „Schönfärberei“ vor: „Es bleibt nur der Rücktritt.“
Während von mehreren Seiten eine Gesetzesänderung gefordert wird, um Hochschulen in solchen Fällen auch eine Exmatrikulation zu ermöglichen, hält Czyborra an der Linie eines Hausverbots fest. „Es müssen, bevor über schärfere Maßnahmen diskutiert wird, die bisherigen Mittel ausgeschöpft werden, auch wenn dies am Ende gerichtlich verhandelt werden muss“, teilte sie mit. Ein Hausverbot in dem aktuellen Fall nannte sie „dringend erforderlich“.
Regierungschef Kai Wegner (CDU) forderte eine schnelle und harte Bestrafung. Der Rechtsstaat werde bei antisemitischen Straftaten mit aller Härte durchgreifen. „Die Hochschulen, in diesem Fall die Freie Universität und ihre Leitung, sind aufgefordert, zu handeln und antisemitische Vorfälle nicht länger zu dulden oder kleinzureden“, schrieb Wegner auf der Plattform X (früher Twitter). Die Hochschulen bräuchten Instrumente, um konsequent und schnell handeln zu können. „Wenn dazu eine Änderung des Hochschulgesetzes erforderlich sein sollte, werden wir in der Koalition darüber sprechen.“
Kritik nach Argumenten gegen Exmatrikulation
Die Kritik an Czyborra entzündete sich an Äußerungen in der RBB-„Abendschau“ vom Dienstag. Sie nannte Argumente gegen eine Exmatrikulation, wie das Grundrecht auf freie Berufswahl. „Exmatrikulation aus politischen Gründen lehne ich auch grundsätzlich ab.“ Und weiter: „Die Wissenschaft lebt von Austausch, lebt von Internationalität, lebt von internationalen Studierenden. Und natürlich gibt’s auch dann mal Konflikte auf dem Campus. Und die müssen wir eindämmen.“
Der Bruder des Opfers, Comedian Shahak Shapira, hatte die Wortwahl auf X, früher Twitter, bereits scharf kritisiert. „WHAT? „Konflikt“? Er hätte beinah an einer Hirnblutung sterben können“, schrieb er. Auch einige Politiker kritisierten die Äußerungen in der „Bild“-Zeitung als verharmlosend.
Am Mittwoch teilte Czyborra zu ihrer Sicht mit: Es müsse grundsätzlich unterschieden werden zwischen einerseits Gewalttaten, Antisemitismus und Volksverhetzung und andererseits politischen Meinungsäußerungen. „Exmatrikulationen aufgrund politischer Meinungen lehne ich weiterhin ab. Eine Demokratie muss innerhalb dieses Rahmens unterschiedliche politische Meinungen aushalten.“
Hausverbot wäre begrenzt
Nach Angaben der Freien Universität (FU) ist nach derzeitiger Rechtslage in Berlin eine Exmatrikulation von Studierenden aus Ordnungsgründen nicht möglich. Eine entsprechende Regelung war 2021 abgeschafft worden. FU-Präsident Günter Ziegler sagte der „Abendschau“: „Ich habe den Eindruck, dass wir nachschärfen müssen, zumindest in den Hilfsmitteln, die wir haben.“ Und dass das bisher mögliche, auf drei Monate begrenzte Hausverbot möglicherweise für die vorliegenden Situationen nicht reichen werde.
Der FU steht am Donnerstag eine Kundgebung unter dem Titel „Solidarität mit Palästina“ bevor. Eine Privatperson habe (für 12.00 bis 14.00 Uhr) 100 Teilnehmer angemeldet, sagte eine Polizeisprecherin. Ort sei die Otto-von-Simson-Straße 26, wo sich die große FU-Mensa befinde. Im Titel der angekündigten Veranstaltung heißt es laut Polizei auch, die Kundgebung richte sich „gegen die selektive Solidarität der Universitätsleitung und Einschränkung demokratischer Rechte“.
In sozialen Medien kursiert zum gleichen Termin ein Demoaufruf von einem „Palästinakommitee FU Berlin“, unter anderem mit der Aufschrift „Freiheit für Palästina!“. Die FU teilte auf Anfrage mit, dass sie aufgrund von Inhalten von Plakaten mit dem Aufruf zur Kundgebung Strafanzeige gestellt habe.
Antisemitismusbeauftragter meldet sich zu Wort
Die Uni steht von mehreren Seiten in der Kritik, nachdem der 30 Jahre alte, jüdische Student Lahav Shapira am Wochenende mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gekommen war. Ein 23 Jahre alter propalästinensischer Kommilitone soll ihn im Ausgehviertel in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte danach dem „Tagesspiegel“, die Leitung der Uni sei „viel zu tolerant“. Unter anderem eine Hörsaalbesetzung einer Gruppe namens „FU Students for a Free Palestine“ hatte im Dezember für Aufsehen gesorgt.
Lior Steiner von der Jüdischen Studierendenvereinigung Berlin sagte am Dienstag im RBB, sobald Israel das Existenzrecht abgesprochen werde und klar antisemitische Botschaften nach außen getragen würden, habe dies mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun. Mehrere Studierendenvereinigungen fordern zusammen den Ausschluss und das Verbot antisemitischer und extremistischer Gruppierungen am Campus.
Im Krankenhaus bestohlen
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) rief Universitäten zu einem konsequenten Durchgreifen auf. Antisemitismus müsse klare Konsequenzen haben, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch). „Hochschulleitungen müssen daher von allen ihnen rechtlich zustehenden Möglichkeiten Gebrauch machen.“ Hochschulen seien zwar Orte maximaler Freiheit, aber keine rechtsfreien Räume.
Im Krankenhaus wurde der verletzte Lahav Shapira bestohlen, wie sein Bruder Shahak Shapira auf X berichtete. Hinweise auf eine gezielte Tat gibt es aber wohl nicht. „Leider ist es unbefugten Personen gelungen, auf eine eigentlich verschlossene Station zu gelangen und bei insgesamt drei Patienten Eigentum zu entwenden“, zitierte die „B.Z.“ einen Charité-Sprecher. Wie Shahak Shapira am Mittwoch auf Anfrage mitteilte, gehe es seinem Bruder „den Umständen entsprechend“, dieser sei jetzt aus der Klinik entlassen worden.