Mindestlohn? Tarifliche Arbeitszeit? In der Küche stimmen nicht alle Zutaten, sagt die Gewerkschaft und erntet gesalzene Kritik. Foto: Rudel

180 Hotels- und Gaststätten haben die Zollfahnder im Kreis Esslingen unter die Lupe genommen. In 88 Fällen hat die Durchsuchung ein Ermittlungsverfahren zur Folge gehabt. Jetzt fordert die Gewerkschaft noch mehr Kontrollen.

Esslingen - Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten (NGG) in der Region Stuttgart übt heftige Kritik an der Kontrollpraxis des Zolls im Kreis Esslingen. Lediglich vier Prozent aller Hotels und Gaststätten habe das zuständige Hauptzollamt Stuttgart im vergangenen Jahr unter die Lupe genommen – und sei dabei in 88 Fällen fündig geworden.

„88 eingeleitete Ermittlungsverfahren bei nur 180 überprüften Betrieben, das ist alarmierend“, urteilt der NGG-Geschäftsführer, Hartmut Zacher. Verstöße gegen den gesetzlichen Mindestlohn würden im Kreis Esslingen viel zu selten geahndet. Der Zoll müsse seine Kontrollen dringend ausweiten und mehr Personal einstellen. „Wenn weniger kontrolliert wird, blüht ein Schwarzmarkt mit der Arbeit, und dem Staat entgehen Millionen“, sagt Zacher.

Dehoga teilt die Einschätzung nicht

Mit seiner Einschätzung, wonach sich gerade im Hotel-und Gaststättengewerbe besonders viele schwarze Schafe tummelten, die „ihren Beschäftigten den Mindestlohn vorenthalten“, löst Zacher heftige Kritik beim Hotel- und Gaststättenverband Dehoga aus. „Dass zu wenig kontrolliert wird, können wir nicht sehen“, sagt Daniel Ohl, der Pressesprecher des Dehoga-Landesverbands Baden-Württemberg. Ohnehin sei es nicht zulässig, einfach nur mit der Statistik zu argumentieren.

Der Grund für ein Ermittlungsverfahren könne sowohl ein lässlicher formaler Fehler bei der Arbeitszeiterfassung sein, als auch eine systematisch zu geringe Bezahlung, sagt er. Schon allein die Marktsituation spreche dagegen, dass, wie Zacher vermutet, vielen Köchen und Kellnern der Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde vorenthalten würde.

„Die Geschäfte laufen gut. Wir haben einen hohen Bedarf an Mitarbeitern. Kräfte in der Gastronomie sind gesucht. Und die wenigen, die auf dem Markt sind, wissen auch, was sie wert sind“, sagt Ohl. Im florierenden Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe greife der Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage.

Branche unter Beobachtung

Die relativ hohe Zahl von Ermittlungsverfahren könne aber auch noch eine andere Ursache haben. „Natürlich steht unsere Branche besonders unter Beobachtung“, sagt Ohl. So sei die Hälfte aller Kontrollen durch konkrete Hinweise, sei es von Mitarbeitern oder von der Konkurrenz, ausgelöst worden. „Da ist die Trefferquote höher, als bei willkürlichen Stichproben, wie sie vielleicht auf einer Großbaustelle durchgeführt werden“, so der Dehoga-Sprecher.

Und was sagt der Zoll? „Das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe stellt einen Schwerpunkt unserer Kontrolltätigkeit dar“, erklärt Stefanie Bernthaler von der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Hauptzollamts Stuttgart. Im vergangenen Jahr sei mehr als jede fünfte Prüfung im Gastronomie-Bereich durchgeführt worden. Lediglich im Baugewerbe seien es mehr Kontrollen gewesen.

Dehoga
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga ist der Branchenverband des deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes. Im Kreis Esslingen hat der Verein 500 Mitgliedsbetriebe. Das sind knapp 40 Prozent aller 1285 im Landkreis registrierten Hotels und Gaststätten. Mit 5023 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hat das Gewerbe im Jahr 2015 einen Umsatz von 334,7 Millionen Euro erwirtschaftet.

Zoll
Im vergangenen Jahr haben die Beamten des Hauptzollamts Stuttgart 884 Arbeitgeber auf Schwarzarbeit, Lohn-Prellerei und Betrug bei der Sozialversicherung überprüft. Wegen Verstößen gegen den gesetzlichen Mindestlohn verhängten die Kontrolleure Bußgelder in Höhe von insgesamt rund 2,5 Millionen Euro und leiteten 147 Ermittlungsverfahren ein – allein 88 davon gegen Betriebe des Gast- und Hotelgewerbes.

Region
Den Zahlen zufolge, die die Reutlinger Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke (Grüne) vom zuständigen Bundesfinanzministerium in Erfahrung gebracht hat, ist die Kontrolldichte in den Kreisen Böblingen, Ludwigsburg, Rems-Murr und in der Stadt Stuttgart nicht höher als im Kreis Esslingen. Lediglich im Landkreis Tübingen sind im vergangenen Jahr mehr als fünf Prozent der Betriebe kontrolliert worden.