Schwierige Mission: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im März bei Israels Premier Netanjahu (r.). Foto: dpa/Kay Nietfeld

Müsste Israels Premier Benjamin Netanjahu – im Fall eines Haftbefehls des Internationalen Gerichtshofs – in Deutschland festgenommen werden? „Ja, was denn sonst?“, meint Eckart Woertz, Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. Im Interview analysiert er die deutsche Nahost-Politik.

Der Nahost-Experte Eckart Woertz sieht die deutsche Nahostpolitik in Zielkonflikten gefangen. Deutschland müsse, gemeinsam mit den USA, mehr Druck auf Israel ausüben, damit sich die Kriegsführung in Gaza ändert, sagt der Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien in Hamburg.

Herr Woertz, Norwegen, Irland und Spanien wollen Palästina als eigenen Staat anerkennen. Rückt jetzt eine Zwei-Staaten-Lösung in Nahost näher?

Nein. Die Zwei-Staaten-Lösung ist nicht mehr als ein frommes Lippenbekenntnis westlicher Politiker. Sie wird von den Radikalen auf beiden Seiten nicht gewollt. Weder von der Hamas noch von der radikalen Rechten in Israel. Die Anerkennung Palästinas als Staat ist erst einmal eher als ein Symbol zu verstehen.

Israel sieht in der Anerkennung Palästinas eine Belohnung für Terror. Ist das – mit Blick auf den Überfall vom Oktober des vergangenen Jahres auf Israel nicht richtig?

Die Anerkennung gilt der politisch machtlosen Palästinensischen Autonomiebehörde, nicht der terroristischen Hamas. Die israelische Regierung sollte das Symbol, das mit der Anerkennung Palästinas durch Länder wie Norwegen, Irland und Spanien verbunden ist, auch aufmerksam zur Kenntnis nehmen: Mit der Art der Kriegsführung in Gaza verspielt sie Unterstützung in westlichen Industriestaaten. Das ist unklug. Denn überall sonst auf der Welt – also nicht nur in der arabischen Welt, sondern praktisch im gesamten globalen Süden – ist der Blick auf Israel ohnehin viel kritischer.

Deutschland bewegt sich im Nahen Osten eng an der Seite der USA. Die Bundesregierung hat Kritik an der israelischen Kriegsführung geübt, steht aber auch enger an Israels Seite als viele andere. Wird diese Position nun noch einmal schwieriger?

Die Bundesregierung befindet sich in einem Zielkonflikt. Einerseits sieht Deutschland sich traditionell als Zivilmacht, die internationale Normen und Institutionen fördern will. Deutschland steht – dem eigenen Anspruch nach – eigentlich auch eher für eine restriktive Waffenexportpolitik. Gleichzeitig hat sich die Bundesregierung selbst die Maßgabe gesetzt, die Sicherheit Israels sei Staatsräson – ohne dass jemals präzise gesagt worden wäre, was das genau heißt. Das alles kneift sich zunehmend. Wir werden noch manche Verrenkung sehen.

Die Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof haben Haftbefehle gegen Anführer der Hamas und gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu beantragt. Die Bundesregierung hat kritisiert, durch die Gleichzeitigkeit entstehe der Eindruck der Vergleichbarkeit. Stimmen Sie zu?

Deutschland ist Mitglied des Internationalen Gerichtshofs. Die Justiz ist unabhängig. Dazu müssen wir jetzt auch stehen. Sonst nehmen wir das internationale Recht nicht ernst. Und wir würden im globalen Süden massiv an Ansehen verlieren. Im Übrigen gilt: Die Gleichzeitigkeit des Antrags auf Haftbefehle bedeutet keine Gleichsetzung.

Wenn es tatsächlich zu einem Haftbefehl kommen sollte: Muss Netanjahu dann im Fall eines Deutschlandbesuchs verhaftet werden?

Ja, was denn sonst? Regeln müssen gelten. Bei einem Haftbefehl wäre die Verhaftung, wenn sie denn durch einen Besuch in Deutschland möglich würde, die logische Konsequenz. Ich gehe davon aus, dass Netanjahu dann nicht mehr nach Deutschland reisen würde. Das bedeutet nicht, dass man nicht mehr miteinander sprechen würde. Außerdem ist klar: Es sind Haftbefehle gegen konkrete Personen beantragt worden – nicht mehr, nicht weniger. Netanjahu wird nicht ewig Premier sein.

Muss Deutschland seinen Kurs in der Nahostpolitik grundlegend verändern?

Die unterschiedlichen Ansprüche an Deutschland in der Nahostpolitik bedeuteten die Quadratur des Kreises. Unterm Strich komme ich aber zum Ergebnis: Die Bundesregierung sollte, gemeinsam mit den USA und europäischen Partnern, erheblich mehr Druck ausüben, dass Israel die Art seiner Kriegsführung ändert. Sonst wird es auch in der arabischen Welt dauerhaft nicht mehr als glaubwürdiger Mittler wahrgenommen werden.

Sie betonen die Gemeinsamkeit mit den USA.

Der Hebel, den Deutschland allein hat, ist klein. Außerdem erkenne ich an, dass es für unser Land – allein aufgrund seiner Geschichte – schwierig ist, an dieser Stelle allein voranzuschreiten. Aber im Schulterschluss mit den Vereinigten Staaten ließe sich sicher noch mehr bewegen. Oder auch durch mehr Gemeinsamkeit in der Nahostpolitik in Europa. Daran sollten alle arbeiten.