Nach jahrelangem Stillstand wollen sich die EU und die Schweiz wieder annähern. Doch der Erfolg der Verhandlungen ist mehr als ungewiss.
Jetzt wird wieder verhandelt. Nach jahrelangem Stillstand steuern die Europäische Union und die Schweiz politisch und wirtschaftlich auf einem Annäherungskurs. Beide Seiten haben in diesen Tagen die entsprechenden Schritte gebilligt und am Montag traf zum Auftakt die Bundespräsidentin Viola Amherd mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammen. Die Aussagen nach dem Treffen blieben allerdings eher allgemein. Ursula von der Leyen sagte: „Heute beginnt ein neues Kapitel in unseren Beziehungen mit der Schweiz, das sich auf ein erneuertes Vertrauen und Engagement zwischen Partnern und Nachbarn stützt.“ Ihr Gast aus der Schweiz formulierte noch vorsichtiger: „Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen Lösungen finden, die für beide Seiten stimmen.“
Verhaltene Freude auf beiden Seiten
Die Freude über diesen ersten Trippelschritt ist in Bern und Brüssel also eher verhalten. Lautstark melden sich nur die EU-Gegner in der Schweiz zu Wort. Die rechtspopulistische und EU-kritische Schweizerische Volkspartei (SVP) verkündet martialisch, in die „Mutter aller Schlachten“ zu ziehen. Ihre Kampagne gegen das neue Vertragspaket mit der EU lief von der ersten Minute an auf Hochtouren. Der Bundesrat wolle die Schweiz der EU „zum Fraß“ vorwerfen. „Im Klartext heißt dies, dass unser Land zu einer Kolonie Brüssels würde“, erklärte der Fraktionsvorsitzende der SVP im Nationalrat, Thomas Aeschi, in diesen Tagen bei der Protestaktion in Bern.
Die Befürworter des geplanten Abkommens melden sich dagegen äußerst zögerlich zu Wort. Das hängt zum Teil damit zusammen, dass es eine sehr komplizierte Materie ist. Hauptgrund dürfte aber sein, dass selbst die Pro-Europäer in der Schweiz mit größten Bauchschmerzen in die Verhandlungen gehen. Denn jeder hat sein eigenes Wunschpaket geschnürt, das er am Ende unbedingt erfüllt sehen möchte. So hadert etwa die liberale FDP mit der EU-Forderung in Sachen freie Zuwanderung. Andererseits bangt die sozialdemokratische SP um den Lohnschutz in der Schweiz. Die Taktik dieser Parteien ist klar: bevor sie sich endgültig positionieren, wollen sie erst einmal abwarten, bis das Verhandlungspaket mit allen Details auf dem Tisch liegt.
Eine sehr komplizierte politische Beziehung
Dieses ängstliche Agieren lässt erahnen, wie kompliziert das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU als ihrem wichtigsten Wirtschaftspartner ist. Im Moment werden die Beziehungen durch zahlreiche bilaterale Abkommen geregelt. Die Gespräche über eine weitere Annäherung hatte Bern 2021 jäh abgebrochen und Brüssel damit brüskiert. Zur Begründung hieß es, das geplante Abkommen habe keine Chance, die Schweizer zu überzeugen. Die müssten wohl bei einer Volksbefragung zustimmen.
Wenig Rückendeckung bekommen die Befürworter des Abkommens aus Brüssel selbst. Schweizer Besucher scheinen immer wieder erstaunt, wie nebensächlich die Angelegenheit von der EU-Kommission behandelt wird. Die Beamten dort sind einerseits schon lange genervt davon, dass die Eidgenossen seit Jahren ständig Extrawünsche formulieren. Ziel der Schweiz war immer, einen möglichst hindernisfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten, aber nicht EU-Mitglied zu werden, weshalb ihr immer wieder Rosinenpickerei vorgeworfen wird. Zum anderen hat Europa im Moment andere, sehr große Probleme. In der Ukraine tobt ein Krieg, der Green Deal kommt nicht voran und die Europawahl steht vor der Tür.
Die Verhandlungen stehen unter Zeitdruck
Wegen der Wahl im Juni mahnt auch der Europaabgeordnete Andreas Schwab zur Eile. Die bereits besprochenen „Landezonen“ der Verhandlungen könnten nur unter der alten EU-Kommission garantiert werden, betont der CDU-Abgeordnete, der die Beziehungen zur Schweiz seit Jahren wesentlich mitgestaltet. Schwab befürchtet offensichtlich, dass eine neue Kommission das Paket noch einmal aufschnüren könnte.
Rückendeckung bekommt der Europaabgeordnete vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Er sei sehr froh über die Verhandlungen, sagte der Grünen-Politiker in Stuttgart. Kretschmann verwies auf 50 000 Pendler zwischen Baden-Württemberg und dem Nachbarn und auf eine sehr enge Verflechtung der Grenzräume zwischen dem Südwesten und der Schweiz. Er hoffe, dass ein Abkommen noch in dieser auslaufenden Legislaturperiode der EU-Kommission endverhandelt werde. Das erste Treffen in Brüssel stimmte dahingehend allerdings nicht allzu optimistisch.