EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger: „Es bleiben nur 15, 16 Monate.“ Foto: EPA

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger blickt mit Sorge auf das Wahlergebnis in Großbritannien. Bereits im Herbst 2018 müssten die Brexit-Abmachungen zwischen der EU und London stehen, sagt er. Nun sieht er aber einen „schwachen Verhandlungspartner“ am Werk.

Stuttgart - Das Wahlergebnis in Großbritannien mit dem Debakel für die Konservativen schafft vor allem eines: Unsicherheiten. Dies gilt insbesondere für die Verhandlungen mit der Europäischen Union über den Brexit. Für diesen Poker wollte Premierministerin Theresa May eigentlich eine starke Mehrheit im britischen Unterhaus als Rückhalt erzielen. Nun aber blickt der frühere baden-württembergische Ministerpräsident und heutige EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger sorgenvoll gen Großbritannien.

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Er sieht eine geschwächte Regierung im Vereinigten Königreich, was für die Brexit-Gespräche von Nachteil sei. Das sei wie bei Tarifverhandlungen oder Vertragsverhandlungen in der Wirtschaft: „Starke Partner sind souverän und kommen schneller zu Ergebnissen“, sagte er am Freitagmorgen im Deutschlandfunk. „Mit einem schwachen Verhandlungspartner läuft man Gefahr, dass die Verhandlungen für beide Seiten schlecht laufen.“

Im Herbst 2018 muss das Ergebnis stehen

Ursprünglich sollten die Gespräche schon am 19. Juni beginnen. Dies steht nun sehr in Frage. Es ist nicht einmal klar, ob der bisher benannte Verhandlungsführer der Briten diese Funktion wahrnehmen könne. Die EU stehe bereit und werde „hart, aber fair“ mit Großbritannien umgehen, so Oettinger. Doch der Zeitplan sei sehr eng, warnte er vor Gelassenheit. Die Regierung in London habe seit dem Brexit-Referendum am 23. Juni 2016 – als 51,9 Prozent der Wähler beziehungsweise 37,4 Prozent der Wahlberechtigten für den Austritt aus der Europäischen Union votierten – bereits viel Zeit verloren.

Nicht erst im März 2019, sondern bereits im Herbst 2018 müssten die Abmachungen zwischen EU und London stehen, so der EU-Kommissar. Denn danach müsse das Verhandlungsergebnis bis März 2019 noch in den Parlamenten aller 27 Mitgliedsstaaten abgesegnet werden – in Deutschland beispielsweise in Bundestag und Bundesrat. „Es bleiben nur 15, 16 Monate“, so Oettinger. Er fügte aber auch hinzu: „Das Referendum steht, niemand stellt es infrage.“

Die anderen EU-Mitglieder müssen einspringen

„Im Augenblick gehen wir von einem konsequenten, harten Brexit als Ziel aus“, sagte er. Aus seiner Sicht ist aber auch klar: Eine „Rosinenpickerei“ werde die EU nicht ermöglichen. Die Briten könnten „nicht erwarten, dass sie aus dem, was Europa bietet, das für sie Günstige herausziehen und die Pflichten oder auch die Nachteile ablehnen“. Europa, die Mitgliedschaft oder auch die Vertragspartnerschaft gebe es „ganz oder gar nicht“.

Offen ist, wer den britischen Teil des EU-Haushalts finanziert, wenn es tatsächlich zum Brexit kommt. Die Briten sind der zweitgrößte Nettozahler im europäischen Haushalt. „Nach einer Übergangsphase fehlen uns strukturell zehn bis 13 Milliarden Euro jährlich wiederkehrend“, so Oettinger. Deswegen werde man nun den nächsten Finanzrahmen vorbereiten, der bis spätestens Sommer 2018 dem Rat und dem Parlament vorgelegt werden soll. Nächste Woche werde dafür ein „Reflexionspapier“ zum Budget 2025 auf den Tisch gelegt. Danach würden zum Ausgleich des britischen Beitrags Programme gekürzt und umgeschichtet. „Aber man kann zehn bis 13 Milliarden nicht durch Kürzungen erbringen“, sagte er. „Deswegen werden die verbleibenden Mitgliedsstaaten einen etwas höheren Beitrag in Ergänzung zu Kürzungen leisten müssen.“

Aus Oettingers Sicht ging es bei der Wahl auf der Insel nicht nur um den Brexit. „Es ging um soziale Gerechtigkeit und um Sicherheit.“ Schon das Brexit-Referendum sei keine reine Abstimmung über den EU-Austritt gewesen. „Manche Stimme war nicht gegen die EU gerichtet, sondern gegen die Lage im Land selbst“, urteilte der Schwabe.