Die Eselsmühle ist weit über das Siebenmühlental für ihre Backwaren bekannt. Anne Dorer ist die Frau hinter den Broten: Sie tüftelt mit Getreidezüchtern, Müllern und Bauern am perfekten Teig. Und das seit 28 Jahren.
Vorsichtig fährt Anne Dorer mit ihren Fingerkuppen über den leuchtend roten Teig, den ein Bäckergeselle in einem großen Kessel in die Backstube schiebt. „Man muss den Teig anfassen, fühlen, riechen. Mit den ganzen Sinnen muss man ihn erfassen“, sagt die Bäckermeisterin der Eselsmühle. Sie ist zufrieden mit dem Teig für die Teufelchen, wie das mit Rote-Bete-Saft gefärbte Brot heißt. Es ist eines ihrer Lieblingsbrote und gehört zu den Verkaufsschlagern der Eselsmühle. Trotzdem steht es nur selten daheim auf ihrem Abendbrottisch. „Qualitätskontrolle“ nennt sie das, wenn sie für sich und ihren Mann jeden Abend ein anderes Brot mit heim bringt.
Bekannt im ganzen Land
Anne Dorer ist das Herz der Eselsmühlenbäckerei. 26 Jahre lang hat sie sogar im Backhaus eine Etage über den Holzöfen gewohnt, „mit Fußbodenheizung“, sagt die 57-Jährige und lacht. Seit zwei Jahren wohnt sie zwar etwas weiter weg in einer Wohnung, die sich für die Rente eignet, steht aber immer noch voll im Geschäft und leitet 31 Gesellen, Auszubildende und Hilfskräfte an, das Brot nach Eselsmühlenart zu backen. Das heißt: in Demeterqualität und mit viel Handarbeit. Damit hat die Bäckerei einen Ruf weit über das Siebenmühlental hinaus erlangt; in einem Umkreis von 100 Kilometern werden die Brote, Brötchen, Kuchen und süßen Stückle in Bioläden, Reformhäusern und Unverpackt-Läden verkauft. 2500 bis 3000 Brote werden Tag für Tag gebacken.
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1994, als Anne Dorer in der Eselsmühle anfing, wurden noch kleinere Brötchen gebacken. Damals hatte die Bäckermeisterin gerade mal einen Gesellen, eine Teilzeit-Gesellin und eine Hilfskraft um sich. „Ich hab’s mit den Bauers aufgebaut“, sagt Anne Dorer, und meint damit die Brüder Meinrad und Gotthard Bauer, die die Eselsmühle von 1994 an in dritter Generation geführt haben. Seit 2000 ist Meinrad Bauer alleiniger Chef, sein Sohn Vincent ist seit fünf Jahren an seiner Seite und bereit, den Betrieb in vierter Generation weiterzuführen. Neben der Bäckerei ist die biozertifizierte Gastronomie mit idyllischer Gartenwirtschaft ein wichtiges Standbein.
Ihr hessischer Dialekt verrät es: Aufgewachsen ist Anne Dorer zwischen Frankfurt und Fulda. Ihre Mutter hätte es gerne gesehen, dass aus ihr eine Friseurin wird, doch sie selbst hatte andere Pläne. „In den Ferien durfte ich zu meinem Vater in die Molkerei. Dort kam immer der Bäcker vorbei, ein kleiner, dicker Mann, und hat mir süße Stückle mitgebracht“, erzählt sie. Sie jobbte in den Ferien bei ihm und machte später dort ihre Lehre. Der Weg ins Schwäbische führte über einen Zufall: Mit 19 Jahren entdeckte sie in einer Bäckerzeitung eine Anzeige für eine Stelle in Stuttgart. Weil ihr der Chef an dem Tag eine Extraschicht aufgedrückt hatte, setzte sie sich an dessen Schreibmaschine, nahm sich von ihm Umschlag und Briefmarke und schickte ihre Bewerbung ab. Wenige Wochen später trat sie die Stelle in Rohracker an. „Wenn ich mir etwas vornehme, dann ziehe ich das durch“, sagt sie und muss über ihre eigene Unverfrorenheit lachen.
Der Frauenanteil im Bäckerberuf liegt bei 23 Prozent
Frauen sind heute noch eine Minderheit im Bäckerberuf, damals war es eine Seltenheit. Doch Anne Dorer hatte Glück: Ihr neuer Chef förderte sie und trieb sie dazu an, den Meister zu machen. Dass nicht jeder gleichermaßen aufgeschlossen war, bekam sie zu spüren, als sie sich nach der Meisterschule bei der Deutschen Reederei bewarb. Die Stelle auf dem Schiff bekam ein Klassenkamerad, „dabei war ich wesentlich besser als der“.
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In den folgenden Jahren wechselte Anne Dorer immer wieder Arbeitgeber und Wohnort, zog von Stuttgart nach Bonlanden, zurück nach Hessen, von dort nach Rheinland-Pfalz und schließlich nach Schönaich. Dann hörte sie von einer offenen Stelle bei der Eselsmühle. „Ich dachte, da geh’ ich mal für ein halbes Jahr hin. Holzofen, das hatte ich noch nicht“, sagt sie. „Und jetzt sind es 28 Jahre, die ich hier bin.“ Ein Grund, warum sie gerne in der Mühlenbäckerei geblieben ist, war das Bäckerasthma, das sie in den Jahren zuvor entwickelt hatte. In dem Demeterbetrieb, in dem das verwendete Getreide nicht gespritzt ist und keine Backmittel zugesetzt werden, ging es ihr viel besser. „Alles, was Allergene auslösen kann, gibt’s hier nicht.“
Bei Demeter sind keine Hilfsmittel erlaubt
Selber am Backofen steht Anne Dorer, die 25 Jahre lang Demeter-Bäckerdelegierte für Deutschland war, nur noch selten. Das, was sie heute vornehmlich macht, beschreibt sie mit den Schlagworten Produktentwicklung, Qualitätsoptimierung und Management. Ihr Antrieb ist es, das perfekte Brot zu backen – mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Denn mit dem Anspruch einer Demeterbäckerei – 95 Prozent aller Zutaten sind Demeterware – sind einige Bäckerkniffe nicht erlaubt. Backmittel, mit deren Hilfe Brote beispielsweise eine röschere Kruste bekommen, sind tabu. „Ich werde nie so ein splitteriges Brötchen hinbekommen. Aber dafür habe ich ein Produkt, das nah an der Natur ist“, sagt sie.
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Um auch ohne Hilfsmittel hervorragendes Brot zu backen, tüftelt Anne Dorer fortwährend am perfekten Mehl. „Das funktioniert nur, wenn der Getreidezüchter, der Bauer, der Müller und der Bäcker zusammenarbeiten“, sagt sie. Um ohne Backmittel ein gutes Brot zu backen, müsse das optimale Mischverhältnis von vier bis sechs Getreidesorten gefunden werden. „Eine Sorte ist enorm im Geschmack, aber nicht backfähig. Oder umgekehrt. Wir sitzen dann zusammen und überlegen, wie viel wir von welcher Sorte brauchen.“
Auch im Siebenmühlental ist der angespannte Weltmarkt spürbar
Dass sich Demeterbauern aus der Region darauf einlassen, extra für die Eselsmühle bestimmte Getreidesorten anzubauen, führt Anne Dorer auf die jahrelange, vertrauensvolle Zusammenarbeit zurück. „Ich kann nur so gut sein wie meine Mannschaft. Es ist das Wichtigste, dass man das nicht vergisst“, sagt die Bäckermeisterin. Das zahle sich gerade jetzt aus, wenn im Zuge des angespannten Getreideweltmarktes manche Mühlen versuchten, Bauern abzuwerben, indem sie den doppelten Preis für deren Mehl böten. „Wir müssen den guten Kontakt zu unseren Bauern pflegen. Nur damit können wir sie halten“, sagt Dorer, die sich im Vorstand von Demeter Baden-Württemberg engagiert.
Die besondere Backweise, die Demeter mit sich bringt, hat Anne Dorer sich nach und nach erarbeitet. Ganz zu Beginn ihrer Eselsmühlenzeit verbrachte sie drei Wochen bei einem Demeterbäcker in Luxemburg. „Er hat mir die Lebendigkeit des Backens beigebracht.“ Sie lernte, wie Kräuter auf den Teig einwirken. Einen Sauerteig, der nicht die richtige Säure habe, könne sie durch die richtige Kräutermischung „wieder hinkriegen“. Dem Brot schmecke man das nicht an – auf 100 Liter Wasser mische sie einen Liter Tee hinzu –, aber das reiche schon, um im Teig bestimmte Effekte zu aktivieren.
Kneten, rollen formen – von Hand
Zum Backen nach Demeterweise gehört auch, dass die Bäcker mit ihren Händen arbeiten. Als Meinrad Bauer 2009 von einem Bäckerkollegen eine Backstube in Steinenbronn aufkaufte, warf Anne Dorer als erstes die Brötchenanlage hinaus. „Den Teig reinwerfen und hinten kommen die Brötchen raus – damit kann ich nicht Demeter backen.“ Die grobe Arbeit machen auch bei ihr moderne Maschinen wie Spiral-, Hub-, Drehhebel- und Zweiarmkneter, doch abgewogen und aufgearbeitet wird der Teig von Hand. Jeder arbeite mit seiner eigenen Handschrift. „Ich kann bei jedem Baguette sagen, von wem es gemacht wurde“, sagt Dorer.
Wie steht sie zu konventionell hergestelltem Brot? Das schmecke nicht schlecht, nur anders, sagt die 57-Jährige. „Ich täte nie sagen, der konventionelle Bäcker macht schlechtes Brot. Der kann auch backen, aber ich habe das Gefühl, ich muss das Doppelte davon essen, um ein Sättigungsgefühl zu bekommen.“ Fürs Vesper am Abend sind die roten Teufelchen an diesem Tag noch nicht fertig gebacken. Anne Dorer schlägt sich deshalb ein Emmerbrot, das noch heiß ist, in Papier ein. Für die Qualitätskontrolle nach Feierabend.
Die Eselsmühle im Siebenmühlental
Geschichte
Die Eselsmühle gibt es seit mehr als 600 Jahren. 1937 kaufte sie Rudolf Gmelin und baute auf dem Areal eine Gastronomie und eine Holzofenbäckerei auf. Als Pionier seiner Zeit lag ihm schon damals Demeter am Herzen. Das haben die Folgegenerationen übernommen: Die Bäckerei der Eselsmühle ist demeter-, die Gastronomie biozertifiziert. Heute leiten Gmelins Enkel Meinrad Bauer und seine Frau Natalie Barthels den Betrieb, Urenkel Vincent Bauer ist Juniorchef. Bis 2004 wurde vor Ort Korn gemahlen, seither von einer Mühle mit Lagerfläche in Gültstein bei Herrenberg. Esel, die einst das Korn transportierten und der Mühle ihren Namen verliehen, gibt es auch heute noch.
Holzofen
Die sechs Doppel-Holzöfen in der Backstube der Eselsmühle werden nie kalt. Sie werden zweimal am Tag auf bis zu 700 Grad hochgeheizt und kühlen dann auf eine Anbacktemperatur von 280 Grad herunter. Platz ist für 360 Brote pro Backvorgang. In der Resthitze können dann noch Rosinenbrötchen oder Feingebäck gebacken werden, ehe wieder aufgeheizt wird.
Steinofen
Um die Kapazität zu erweitern, kaufte Meinrad Bauer 2009 eine Backstube in Steinenbronn hinzu. Dort stehen moderne Ringrohröfen mit Steinplatte, Umwälz- und Stikkenöfen. Dort werden neben Broten auch Brötchen, Brezeln, Plunder, Feingebäck und vieles mehr gebacken – ein Vollsortiment. Die Pläne für eine Erweiterung um ein Stockwerk stehen.