Der Rostocker Karl-Heinz Utess (links) und der Syrer Yaman Al Afandi haben eine Menge Gemeinsamkeiten. Foto: Eva Herschmann

Im Erzählcafé berichten Menschen von ihrer Flucht aus der Heimat. Flüchtlinge von heute und damals tauschen sich über ihre unterschiedlichen Erfahrungen aus.

Oeffingen - Karl-Heinz Utess und Yaman Al Afandi sind völlig verschieden, und dennoch verbindet die Männer vieles. Der 75-Jährige war im Alter von 18 Jahren aus der DDR geflüchtet, der junge Syrer vor mehr als zwei Jahren aus Aleppo. Beide haben ihre Heimat verlassen, weil ihnen die Umstände keine andere Wahl ließen. Nach dem zweiten Erzählcafé am Freitag in der Seniorenwohnanlage in Oeffingen, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft von ihrer Flucht nach Deutschland berichteten, haben sie sich noch lang miteinander unterhalten. „Wir sind beide Informatiker“, sagte Karl-Heinz Utess augenzwinkernd.

Gewissheit über Aufnahme als Flüchtling

Streng genommen sei er ein Wirtschaftsflüchtling, sagte Karl-Heinz Utess, der vor mehr als einem halben Jahrhundert von Ost- nach Westdeutschland flüchtete. 1960 hatte Karl-Heinz Utess beschlossen, seine Heimatstadt Rostock zu verlassen, weil er nicht länger zur Schule gehen durfte, obwohl es seine Noten erlaubt hätten. „Ich hatte eine Arbeitsstelle und wollte parallel studieren, aber das wurde mir verweigert. Ich sollte in die Volksarmee.“ Weil er sich so sein Leben nicht vorstellte, begann Karl-Heinz Utess seine Flucht zu planen. „Wir hatten es natürlich leichter, wir mussten keine fremde Sprache lernen, und es war von vorneherein klar, dass die BRD alle Flüchtlinge aus der DDR aufnimmt.“

Ein Ämtermarathon beginnt

Karl-Heinz Utess arbeitete bei einem Berliner Sender in der Technik und bekam über einen Bekannten eine Adresse von jemandem, der in Stuttgart beim Fernsehen arbeitete. Mit einer kleinen Urkundenfälschung gelang es ihm, nach Berlin zu reisen. Damals vor dem Mauerbau sei die DDR-Stadtbahn noch durch den Berliner Westsektor gefahren. „Und ich habe vorher schon sondiert, wo ich aussteigen und wie ich mich bewegen muss.“ Mit 80 Westmark landete er im Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde. „Und dann begann ein Ämtermarathon. Ich stand von morgens bis abends in Warteschlangen, um mir Stempel von den Amerikanern, den Franzosen und den Briten sowie der Kirche zu holen, und ich wurde ausgefragt, denn alle wollten mögliche Spione enttarnen.“ Weil er mit 18 Jahren zwar in der DDR volljährig war, in der Bundesrepublik aber noch nicht, sollte Karl-Heinz Utess eigentlich in ein Jugendlager. Doch er weigerte sich und pochte darauf, nach Stuttgart zu reisen. „Zum Glück bin ich standhaft geblieben, sonst säße ich nicht hier. So aber habe ich vom deutschen Staat ein Flugticket bezahlt bekommen.“

„Das Herz ist immer verletzt“

Warteschlangen bei Behörden kennt Yaman Al Afandi. Der 27-jährige ausgebildete Informatiker floh vor dem Krieg in seiner Heimat Syrien. „Ich habe mich bewusst für Deutschland entschieden.“ Mit dem Boot und zu Fuß war er bis nach Serbien gekommen. Von dort aus sei er mit einem Schleuser für 1500 Euro bis nach Wien gefahren. Im August 2015 kam Yaman Al Afandi dann – mit einem Erste-Klasse-Zugticket – in Stuttgart an. „Ich dachte, so lässt mich die Polizei eher in Ruhe.“ Acht Monate lebte der Syrer in einer Sporthalle in Waiblingen, bevor er unterstützt vom Freundeskreis für Flüchtlinge in Fellbach ein Zimmer in Oeffingen fand. „Derzeit besuche ich die notwendigen Sprachkurse, meine Zeugnisse habe ich alle hier bei mir, und ich bewerbe mich um eine Arbeit.“ Natürlich hätte es der geflüchtete Karl-Heinz Utess wegen der Sprache leichter gehabt, sagt Yaman Al Afandi. Doch Flucht sei ein einschneidendes Erlebnis. „Das Herz ist immer verletzt.“