Eine Wissenschaftlerin rekonstruiert die fast 6000 Jahre alte Kultwand mit Frauenfiguren aus einem Pfahlbauhaus bei Bodman-Ludwigshafen Foto: Landesamt für Denkmalpflege/Monika Erne

Eine einzigartige Archäologieausstellung in Oberschwaben gibt Einblicke in 4000 Jahre Pfahlbaukulturen, technische Innovationen, gesellschaftlichen Wandel – und zeigt spektakuläre Ausgrabungsfunde.

Bad Schussenried - Wenn Helmut Schlichtherle die Werkstatträume in der Außenstelle des Landesamts für Denkmalpflege in Hemmenhofen am Bodensee betritt, beginnen seine Augen zu funkeln. Denn derzeit entsteht hier die Rekonstruktion einer Kultwand, die Experten auf das Jahr 3860 vor Christus datieren.

Taucharchäologen haben 1990 erstmals die Fragmente bemalter Räume aus der Steinzeit im Bodensee bei Ludwigshafen entdeckt. Mehr als 1000 Einzelteile eines Hauses haben sie daraufhin zu Tage gefördert. In jahrzehntelanger Puzzlearbeit haben Wissenschaftler des Landesamts für Denkmalpflege sie so zusammengefügt, dass nun erkennbar wird, was sich auf der Innenwand eines solchen steinzeitlichen Haues befunden hat. „Wir sind jetzt in der Lage diesen Fries wieder zu rekonstruieren“, sagt Schlichtherle stolz. „Die Innenräume waren ornamental ausgestaltet und mit nahezu lebensgroßen weiblichen Brüsten versehen. Inzwischen wissen wir, dass auf einer Wand mindestens sieben große weibliche Gestalten zu sehen waren.“

Acht Meter lang ist der fast 6000 Jahre alte Fries. „Das ist eine sensationelle Entdeckung“, sagt Schlichtherle und betont die historische Bedeutung: „Das sind die ältesten Wandmalereien nördlich der Alpen. Das ist religions- und menschheitsgeschichtlich eine unglaubliche Sache.“ Diese Brüste! Wenn man vergleichbare Fresken aus der Steinzeit sehen wolle, müsse man bis nach Kleinasien reisen.

Im kommenden Jahr wird die Wand mit den aufmodellierten Frauenfiguren aus einem Kulthaus einer Pfahlbausiedlung in Bodmann-Ludwigshafen erstmals der Öffentlichkeit gezeigt: In der Großen Landausstellung „4000 Jahre Pfahlbauten“, die vom 16. April bis zum 9. Oktober 2016 im Kloster Bad Schussenried und im acht Kilometer entfernten Federseemuseum in Bad Buchau zu sehen sein wird. Auf einer Gesamtausstellungsfläche von 1900 Quadratmetern werden mehr als 1200 Objekte von 40 Leihgebern gezeigt. Die Kosten der Ausstellung belaufen sich auf rund 2,5 Millionen Euro. Die Ausstellungsmacher erwarten mehr als 100 000 Besucher.

Dank der ausgezeichneten Erhaltungsbedingungen für organische Materialien in den Mooren sind viele der Exponate noch sehr gut erhalten. „Wir haben sehr viele Besen gefunden“, sagt Projektleiterin Barbara Theune-Großkopf vom Archäologischen Landesmuseum. „Die Kehrwoche gab es also offenbar auch schon in der Steinzeit.“

Zu sehen sein werden unter anderem ein Rucksack, Sandalen, Spitzhüte, Dolchblätter, aber auch ein steinzeitlicher Kaugummi aus Birkenteer mit Zahnabdrücken oder sieben der ältesten Räder der Welt. In den Pfahlbauten lässt sich – wie nirgends sonst – die Geschichte des Rades durch eine ganze Reihe von Funden dokumentieren. „Das Rad war eine der folgenreichsten Erfindungen der Menschheit“, sagt Schlichtherle. „Wenn man das Rad in Oberschwaben schon nicht erfunden hat, so hat man es hier doch zumindest entscheidend weiterentwickelt.“

Pfahlbauten und Moorsiedlungen aus urgeschichtlicher Zeit sind ein besonderes Phänomen der Alpenländer. Vom Osten Frankreichs bis nach Ljubljana in Slowenien sind mehr als 1000 Siedlungen auf Pfählen im Wasser oder feuchten Mooren aus der Zeit zwischen 5000 und 800 vor Christus bekannt. Stellvertretend wurden 111 Seeufer- und Moorsiedlungen in der Schweiz, Frankreich, Italien, Slowenien, Österreich und Deutschland im Jahr 2011 in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen.

„Wir wollen Pfahlbauten nicht als baden-württembergisches Phänomen darstellen, sondern als Besonderheit des gesamten Alpenraums“, sagt Claus Wolf, Präsident des Landesdenkmalamts. „Die Ausstellung soll Einblicke in das soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben dieser kleinbäuerlichen Siedlungen geben.“ Im Kloster Bad Schussenried erleben die Besucher den Theorieteil: Wie haben sich die Jagd, die Landwirtschaft und die Transportmittel verändert. In Bad Buchau im Federseemuseum folgt dann der praktische Teil aus der Bronzezeit. Hier können Besucher Schmuck, Feuer und Essen machen wie vor 3000 Jahren.