Stuttgart hat einen der kleinsten Gender Pay Gaps in ganz Baden-Württemberg – und eine der größten Lohnlücken zwischen Frauen und Männern. Woher kommt das? Und warum ist in Baden-Württemberg erst in zwei Wochen der wahre Equal Pay Day?
Fast nirgendwo in Baden-Württemberg ist der Gender Pay Gap zwischen Frauen und Männern so gering wie in Stuttgart. Die Landeshauptstadt steht mit einem statistisch bereinigten Wert von 13,8 Prozent knapp hinter Heidelberg und Freiburg auf Platz drei.
Gleichzeitig ist die reale, in Euro und Cent gerechnete Lohnlücke gewaltig: Ein Stuttgarter verdient pro Tag Vollzeitarbeit 44,20 Euro mehr als eine Stuttgarterin. Nur in vier Kreisen im Land ist der Wert höher, die größte Differenz wird mit 54,56 Euro je Arbeitstag im Bodenseekreis gemessen. Das hat die Bundesarbeitsagentur errechnet. Auf einen Monat gerechnet macht das mehr als 1000 Euro.
Die Industrie spielt eine Rolle
Der Equal Pay Day erinnert jedes Jahr, 2024 am 6. März, an die ungleiche, teils ungerechte Bezahlung von Frauen und Männern. Wird in Stuttgart nun besonders fair oder besonders unfair bezahlt?
Die mit 44 Euro vergleichsweise große Lohnlücke pro Tag erklärt die Arbeitsagentur in ihrer am Montag veröffentlichten Studie insbesondere mit dem Ausbildungsniveau: Wo viele hoch qualifizierte Männer und viele gering qualifizierte Frauen arbeiten, spreizen sich die Löhne. Bei Großbetrieben und in der Industrie verdienen Hochqualifizierte zudem oft besonders gut. Entsprechend ist die Lohnlücke neben Stuttgart und dem Bodenseekreis auch in anderen industrialisierten Kreisen wie Böblingen und Heilbronn recht groß.
Weil die Löhne in Stuttgart insgesamt so hoch sind, machen die 44 Euro Lohnunterschied am Tag rechnerisch allerdings etwas weniger aus als anderswo. Deshalb liegt Stuttgart beim sogenannten unbereinigten Gender Pay Gap mit 27 Prozent nur knapp über dem Landeswert von 22 Prozent.
Warum ein bereinigter Gender Pay Gap ausgerechnet wird
Dieser unbereinigte Gender Pay Gap wird am Equal Pay Day am häufigsten berichtet. Er hat vielfach mit der Wirtschaftsstruktur einer Region oder dem Verhalten der Arbeitnehmer zu tun. Er misst somit ungleiche Bezahlung – aber nur bedingt ungerechte Bezahlung. Deshalb ermitteln Statistiker zusätzlich einen bereinigten Gender Pay Gap. Dafür rechnen sie Einfluss von Beruf, Branche, Teilzeit, Ausbildung oder Führungspositionen heraus. Hier steht Stuttgart vergleichsweise gut da. Der bereinigte Gender Pay Gap ist hier mit 13,8 Prozent nur etwa halb so hoch wie der unbereinigte – der drittbeste Wert im Land.
Woher kommt das? In einer Analyse des Statistischen Bundesamts sind die (nicht statistisch erfasste) Berufserfahrung und die Position im Unternehmen als wichtigste Einflüsse auf den bereinigten Gender Pay Gap ausgeführt. Nicht berücksichtigt werden etwa Erwerbsunterbrechungen durch Elternzeit. Sie können ebenso wenig gemessen werden wie die tatsächliche Diskriminierung von Frauen, die teilweise trotz gleicher Aufgaben und Position weniger verdienen als Männer. Der bereinigte Gender Pay Gap gilt rein statistisch daher als durchschnittliche „Obergrenze“ für Lohndiskriminierung.
Ganztagsbetreuung ist wichtig
Auf Stuttgart und andere Großstädte mit vergleichsweise geringem bereinigtem Gender Pay Gap geht der Bericht nicht explizit ein. Es ist aber denkbar, dass berufstätige Großstadtbewohnerinnen mehr Berufserfahrung haben und auf der Karriereleiter bereits weiter aufgestiegen sind als Arbeitnehmerinnen im ländlichen Raum. Zu erklären wäre das beispielsweise mit den in Großstädten höheren Anteil an Akademikerinnen und deren Karriereplänen. Außerdem ist der Anteil von unter-3-jährigen Kindern in Ganztagsbetreuung in den Großstädten deutlich höher. Dadurch steigen die verfügbare Arbeitszeit und das Einkommen.
Verglichen mit anderen Kreisen in Baden-Württemberg werden Frauen in Stuttgart also vergleichsweise gerecht bezahlt. An den gewaltigen Verdienstunterschieden, die der Equal Pay Day thematisiert, ändert das allerdings nichts. Eigentlich müsste er in jedem Bundesland an einem anderen Tag begangen werden – zuerst in Brandenburg bereits am 15. Januar und zuletzt in Baden-Württemberg. Hier ist die Schwelle zur (unbereinigten) Lohnlücke erst zwei Wochen nach dem Equal Pay Day erreicht, nämlich am 20. März.