„Rate mal, wer hier spricht . . .“ – so beginnt oft der verhängnisvolle Anruf eines Enkeltrick-Betrügers Foto: Patricia Sigerist

Der Enkeltrick ist auch nach 15 Jahren ein einträgliches Geschäft für Betrüger am Telefon. In diesen Tagen werden der Polizei immer mehr Fälle bekannt. Der Schaden allein in der Region liegt in diesem Jahr bereits bei 256 000 Euro.

Stuttgart - Großalarm beim Kripo-Dezernat für Eigentumsdelikte: Mindestens acht neue Fälle gab’s bis Donnerstagnachmittag, neun Anzeigen am Tag davor. Die Dunkelziffer dürfte noch um ein Vielfaches höher sein. Eine Welle von Betrügereien mit angeblichen Verwandten am Telefon schwappt über Stuttgart und die umliegenden Landkreise – und findet immer neue Opfer.

Manche haben aber einfach nur Glück. Eine 85-Jährige aus Bad Cannstatt etwa, die am Mittwoch gegen 15 Uhr von einer Frau angerufen wurde, die sie für eine Nichte hielt. Gutgläubig wollte sie der Verwandten aus einer Notlage helfen und ihr 10 000 Euro ausleihen. Dann aber hatte ihre Bankfiliale schon geschlossen. Als sie gegen 16.45 Uhr von der falschen Nichte zu einer Bank in der Stuttgarter Innenstadt geschickt wurde, hatte die 85-Jährige ein zweites Mal Glück: Ein Bankmitarbeiter schaltete richtig – und begleitete die Frau zur Polizei.

Die Hintermänner der Enkeltrick-Masche machen aber auch ohne das Geld der Cannstatterin reichlich Umsatz. Die Beute allein in der Region Stuttgart summiert sich bereits in den ersten Monaten dieses Jahres auf 256 000 Euro. Bar auf die Hand, spurlos verschwunden. Das Schlimme dabei: Die Polizei kennt die Drahtzieher – es sollen Angehörige einer ethnischen Minderheit in Polen sein. Doch trotz Festnahmen und sogar Gerichtsurteilen florieren die Geschäfte.

Warum fallen immer noch so viele auf diesen Trick herein?

Auch wenn inzwischen viele Senioren die Masche kennen und einfach auflegen: Warum fallen immer noch so viele ältere Menschen auf diesen Trick herein? „Natürlich habe ich davon schon vorher gehört“, sagt eine 81-jährige Weilimdorferin, „das hat doch schon jeder.“ Dennoch wurde sie jüngst von einer Anruferin überrumpelt. Mit der simplen Frage: „Rate mal, wer hier spricht?“ Die 81-Jährige glaubte die Tochter ihrer Cousine erkannt zu haben. Die Biene.

Die Anruferin hielt sich nicht lange mit Geplänkel auf. Keine Zeit für Rückfragen. Oder Fangfragen. Sie habe eine Eigentumswohnung in München gekauft, bei einer Versteigerung, und wenn sie den Termin jetzt nicht einhalte, verliere sie 3500 Euro. Ob sie nicht Geld bei ihr leihen könne? „Krieg keinen Schreck, 10 000 Euro.“ Das war der 81-Jährigen dann doch zu viel. Gutmütigkeit hin oder her. Diese Summe wollte sie nicht aufbringen. „Meine eigenen Kinder wären nicht so unverschämt“, dachte sie. Das Gespräch endet damit. Zum Glück.

Doch die 81-Jährige muss zugeben, dass sie bis zum Schluss geglaubt hatte, mit Biene gesprochen zu haben. „Die sind raffiniert geschult“, sagt sie. Die Betroffene fragt sich noch, wie es gewesen wäre, wenn sie mit der falschen Biene zur Bank hätte gehen sollen. Aber inzwischen weiß sie: Statt ihrer Nichte wäre eine Komplizin gekommen.

76-jährige Frau stellte 100 000 Euro zur Verfügung

Die Betrugswelle wird in Stuttgart immer spektakulärer. Ende Januar stellte eine 76-jährige Frau aus dem Stuttgarter Westen ihrer angeblichen Bekannten Helga sogar 100 000 Euro für einen Wohnungskauf zur Verfügung. Ende März wurde ein 81-Jähriger aus Botnang um 34 000 Euro betrogen, als er seinen Schwiegerenkel am Telefon glaubte und ihm bei einem Immobiliengeschäft helfen wollte. Der herzkranke Mann wurde einen Tag später in einem Waldstück tot gefunden.

Danach gab es in Stuttgart noch weitere solcher Fälle. Eine 88-Jährige aus dem Stuttgarter Westen übergab Mitte April 10 000 Euro an drei unbekannte Frauen. Drei Tage später zahlte eine 85-Jährige aus Weilimdorf 10 000 Euro, weil sie von ihrer angeblichen Nichte um Unterstützung für einen Wohnungskauf gebeten wurde. Die bisher 256 000 Euro Beute in der Region kassierten die Täter in Stuttgart, Fellbach und Schorndorf (Rems-Murr-Kreis), Tamm (Kreis Ludwigsburg) und in Göppingen.

Dabei schienen die Drahtzieher des Enkeltricks ins Mark getroffen zu sein, als im Mai vergangenen Jahres die Clan-Chefs einer ethnischen Minderheit in Polen dingfest gemacht wurden. Unter ihnen die 44 und 46 Jahre alten mutmaßlichen Erfinder der Masche, die in ihren Kreisen als Hoss und Adam bekannt sind. In Hamburg läuft ein Gerichtsprozess gegen hochrangige Mitglieder des Betrüger-Netzwerks. Die Polizei schätzt die Zahl der Anrufer, die ihre Opfer geschickt einwickeln können, inzwischen aber auf 20 bis 30 Personen.

Mehrjährige Haftstrafen gegen einzelne Beschuldigte scheinen das Netzwerk, das europaweit Opfer findet, nicht zu beeindrucken. Aber auch die Justiz ist nicht immer konsequent. Am 16. April etwa wurde im Rhein-Erft-Kreis nahe Köln ein Geldkurier festgenommen, der einer älteren Frau mehrere Tausend Euro abnehmen sollte. Das Opfer aber hatte die Polizei verständigt. Gegen den 58-Jährigen polnischer Abstammung, einschlägig wegen Betrugs vorbestraft, wurde Haftbefehl beantragt. Der Richter verschonte den Mann aber vor einem sofortigen Haftantritt. „Er hatte“, so ein Polizeisprecher, „eine Notlage im persönlichen Umfeld geltend gemacht.“