Islamismus-Experte Herbert Müller Foto: Kraufmann

Islamismus-Experte Herbert Müller über El Kaida, die Lage im Land und gefährliche Einzeltäter.

Stuttgart - Alarm oder Entwarnung? Keines von beidem, sagt Verfassungsschützer Herbert Müller im Interview. El Kaida funktioniere schon seit Jahren ohne bin Laden.

Herr Müller, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von Osama bin Ladens Tod erfuhren?
Mein erster Gedanke war: Wie haben die das geschafft? Pakistan ist ja auch für eine Macht wie die USA ein schwieriges Terrain, ein tief gespaltenes Land. Alles deutet darauf hin, dass bin Laden all die Jahre in Pakistan Unterstützer gehabt haben muss.

Bin Laden wollte sich nicht ergeben und starb dann in einem Schusswechsel durch einen Kopfschuss. Klingt das für Sie plausibel? 
Man muss bei solchen Meldungen stets vorsichtig sein, aber ich glaube in der Tat nicht, dass er und seine Gruppe bereit waren, sich zu ergeben. Bin Laden als Gefangener der USA - man stelle sich das einmal vor!

Aus Sicht der Heiligen Krieger ist bin Laden also den Heldentod gestorben. 
Ja, aus deren Sicht ist einer ihrer großen Ideengeber standesgemäß abgetreten.

Wie hat die islamistische Szene im Land auf seinen Tod reagiert? 
Bislang haben wir noch so gut wie keine Reaktionen. Die sind offenbar genauso überrascht wie alle anderen.

Funktioniert El Kaida auch ohne bin Laden?
Das tut sie schon seit Jahren. Sie hat sich immer mehr zu einer Art Franchise-Unternehmen entwickelt, in dem einzelne Personen oder kleine Gruppen sich beflügeln lassen und im Sinne von El Kaida handeln, ohne dass es direkte Verbindungen gibt.

Demnach war bin Laden als geistiger Führer aber noch wichtig. 
Die Nummer zwei von El Kaida, Aiman el Sawahiri, hat zuletzt sehr viel öfter den Takt und die Stichworte vorgegeben. Bin Laden spielte fast nur noch die Rolle des großen, alten Mannes im Hintergrund.

Erwarten Sie nun hierzulande Racheakte? 
Man sollte nicht in Panik verfallen. Es besteht weiter ein hoher Grad an abstrakter Gefährdung, das heißt: Da ist was, da brodelt was, und wir können nie ausschließen, dass jemand tätig wird. Es geht vor allem darum, wer sich eventuell inspirieren und zu Terrorakten hinreißen lässt. Feste Kommandostrukturen haben wir hier ja eher nicht.

Klingt nach schwieriger Arbeit.
Ja. Die Struktur ist recht diffus und schwer zugänglich. Und wie der Terrorakt am Frankfurter Flughafen gegen US-Soldaten gezeigt hat, können inzwischen Einzelpersonen in unheimlicher Schnelligkeit einen bedenklichen Zustand erreichen. Umso wichtiger ist es, bestimmte Milieus und Strukturen im Blick zu behalten.

Entwarnung gibt es also auch keine.
Nein, warum denn? Die Struktur und das Phänomen El Kaida sind durch den Tod bin Ladens nicht weg. Auch in der Vergangenheit wurden Spitzenleute der Organisation getötet, aber die Geschichte ging weiter.