So sieht ein nachgerüsteter SCR-Katalysator aus, der die Stickoxide weitgehend aus den Diesel-Abgasen herausfiltern soll. Foto: dpa

Die Idee wirkt bestechend: Wenn moderne Technik neue Diesel schadstoffarm macht – warum sollte man diese nicht auch bei alten Dieseln einsetzen? Doch die Idee hat Tücken. Ob sich diese überwinden lassen, darüber sind sich Hersteller und Werkstätten uneins.

Stuttgart - Die Industrie sieht im nachträglichen Einbau von Dieselkatalysatoren Sicherheitsrisiken, derweil halten Werkstätten die Probleme für beherrschbar. Ein Überblick.

Der Konzernchef

Daimler-Chef Dieter Zetsche ist der Diplomat unter den Chefs der Autokonzerne. Selbst als klar wurde, dass der chinesische Milliardär Li Shufu heimlich Aktien in Milliardenhöhe gekauft und sich selbst zum größten Aktionär gemacht hatte, sprach Zetsche ganz wertfrei von „neuen Randbedingungen“. Gemessen daran äußerte er sich eher undiplomatisch, als er im Februar auf die Frage angesprochen wurde, ob Millionen Dieselfahrzeuge außer einer verbesserten Software auch eine neue Abgasreinigung erhalten müssten, um auf der Straße weniger Stickoxide auszustoßen. Solche „signifikanten Eingriffe“ flächendeckend in den Werkstätten vorzunehmen, deren Techniker dazu womöglich nicht in der Lage wären, werfe die Frage auf, „wie wir mit der Haftung und Verantwortung gegenüber unseren Kunden umgehen“.

Die Werkstätten

Einige Wochen nach diesen Aussagen ist das Kfz-Gewerbe in der Region Stuttgart noch immer angesäuert. „Es ist ja nicht so, dass wir das erste Mal Fahrzeuge nachrüsten“, sagt Torsten Treiber, Obermeister der Kfz-Innung Region Stuttgart, und spielt damit auf die Nachrüstung von Dieselautos mit Partikelfiltern vor einigen Jahren an, als es um die Grüne Plakette ging. „Herr Zetsche sollte seinen Werkstätten vertrauen.“

Die sogenannte Hardware-Nachrüstung spaltet die deutsche Autobranche. Die Hersteller lehnen sie einhellig ab, weil ihre Kosten für jedes Fahrzeug in die Tausende gehen. Für das Kraftfahrzeuggewerbe, das massiv unter dem Wertverfall der gebrauchten Dieselautos leidet, die auf ihren Höfen auf Käufer warten, wäre die Nachrüstung dagegen ein Lichtblick. Allein in der Region Stuttgart fahren derzeit 206 000 Euro-5-Diesel herum, für die ab September 2019 ein Fahrverbot verhängt werden könnte. Auf fünf bis acht Arbeitsstunden schätzen die Werkstätten den Arbeitsaufwand, möglicherweise ebenso durch die Autoindustrie bezahlt wie die Teile, die sie einbauen.

Die Ingenieure

Für Ingenieure aus der Autoindustrie ist bereits die Vorstellung ein Albtraum, dass die von ihnen jahrelang entwickelten, aufwendig erprobten und auf Serienreife getrimmten Autos von Werkstätten technologisch verändert werden. „Die nachträgliche Installation einer Abgasreinigungsanlage ist etwas ganz anderes, als einen Filter einzuschrauben“, warnt ein Technologiemanager aus der deutschen Autobranche eindringlich. Eine wirklich leistungsfähige Lösung benötige eine für jedes Modell eigens entwickelte Software; wegen des beträchtlichen Stromverbrauchs müsse das elektrische Bordnetz verstärkt werden, und selbst die Sicherheit der Karosserie bei einem Unfall könne tangiert werden.

Die Schadstoffe

Die modernen SCR-Katalysatoren basieren darauf, dass in den Abgasstrom Adblue, eine wässrige Harnstofflösung, eingespritzt wird, aus der Ammoniak gewonnen wird. Dieses wandelt unerwünschte Stickoxide in Wasser und harmlosen Stickstoff um. Dieser macht ohnehin 80 Prozent der natürlichen Atemluft aus. Doch das System funktioniere nur, wenn die Einspritzung sehr präzise auf die Motorsteuerung abgestimmt sei. Wird zu viel eingespritzt, entstehe der gefürchtete Ammoniak-Schlupf: Das aus Adblue entstehende Ammoniak entweiche ungefiltert in die Umwelt. Wird zu wenig Adblue eingespritzt, leidet die Wirksamkeit der Anlage. „Einfach Adblue in den Katalysator einzuspritzen gleicht dem Versuch, mit verbundenen Augen durch die Stadt zu fahren“, sagt der Manager.

Die Gefahren

Zu bedeutenden Risikofaktoren zählten auch die bei einem Teil der Nachrüstlösungen notwendigen Schweißarbeiten am Abgaskrümmer. Dadurch sollen Abgase entnommen und in das System der Abgasnachbehandlung des Nachrüsters geleitet werden. Ohne eine Anpassung an das einzelne Modell und eine intensive Erprobung bestehe im schlimmsten Fall sogar eine Brandgefahr. Sicherheitsrisiken bringe eine Nachrüstung auch dann, wenn – etwa für den Einbau von Adblue-Tanks in den Kofferraum oder für die Montage von Leitungen – Bohrungen an der Karosserie vorgenommen werden. „Jede Veränderung an der Karosserie kann deren Verhalten bei einem Unfall verändern“, empört sich der Ingenieur. „Solche Veränderungen vorzunehmen, ohne die Modelle erneut durch das Crashtest-Programm zu schicken, wäre absolut verantwortungslos.“

Auch die Zuverlässigkeit des Autos leide, wenn das Bordnetz nicht für den energiefressenden Kat verstärkt werde, der Adblue verdampft und dafür zeitweise beheizt werden muss. Bis die neue Entwicklung konzipiert sei, die Genehmigungen erteilt, die Teile verfügbar und schließlich in den Werkstätten eingebaut seien, werde sich das Problem mit den Stickoxiden in der Luft bereits erledigt haben. Auf zwei bis drei Jahre schätzt Volkswagen-Markenchef Herbert Diess den Zeitbedarf, bis die Lösungen verfügbar sind.

Die Kapazitäten

Die Autowerkstätten halten diese Darstellungen dagegen für übertrieben und sehen für sich die Chance, neben der Luftqualität auch die Auslastung ihrer Werkstätten zu verbessern. Zumindest an den Werkstätten werde ein zügiger Einbau nicht scheitern. „Die Kfz-Innung vertritt in der Region rund 1000 Werkstätten“, sagt Treiber. „Wenn jede davon auch nur einen Euro-5-Diesel am Tag umrüstet, sind wir nach weniger als einem Jahr durch.“

Eine Nachrüstung mit einem SCR-Katalysator sei auch ohne Eingriffe in die Motorsteuerung möglich, da er lediglich die Nachbearbeitung der Abgase übernehme. „Der Motor verarbeitet im übertragenen Sinne das Frischwasser, der Katalysator das Abwasser. Beide kommen nicht miteinander in Berührung.“ Auch die Sicherheitsbedenken teilt Treiber nicht, da heute Lösungen am Markt seien, die ohne sicherheitskritische Veränderungen auskämen.

Dass die Bordelektrik durch einen Katalysator stärker beansprucht wird, räumt Hubert Mangold, Vertriebschef von Oberland Mangold, ein. Sein Unternehmen ist einer der Anbieter von Nachrüstlösungen. Die Zusatzbelastung sei jedoch so gering, dass sie die Pannenanfälligkeit des elektrischen Systems nicht erhöhe.

Die Daten

Der größte Mangel der Nachrüstlösungen sei die fehlende Bereitschaft der Hersteller zur Zusammenarbeit. „Das Adblue muss in der Tat sehr präzise dosiert werden – deshalb sind die Daten aus der Motorsteuerung sehr hilfreich“, sagt Mangold. „Diese Daten stellen die Hersteller uns aber nicht zur Verfügung.“ Auch sei es falsch, dass Nachrüstlösungen von Grund auf neu entwickelt werden müssten. „Die Reinigungssysteme für die Euro-6-Motoren sind ja bereits am Markt.“ Man müsse sie „nur aus dem Regal holen und entsprechend anpassen“. Die Autobranche „spielt auf Zeit und hofft, ohne die Nachrüstung mit Katalysatoren davonzukommen“, so Mangold.