Im städtebaulichen Wettbewerb für das alte IBM-Areal in Stuttgart-Vaihingen gibt es eine Viererauswahl von Modellen. Der Bau eines Hochhauses, vielleicht für ein Hotel, erscheint wahrscheinlich. Das bestehende Bürogebäude ohne Denkmaleigenschaft kommt wohl weg.
Stuttgart - Die Suche nach einem städtebaulichen Konzept für den ehemaligen IBM-Campus mit vier Kulturdenkmalen vom Reißbrett des früheren Stararchitekten Egon Eiermann geht in die entscheidende Phase. In einer zehnstündigen Sitzung hat das Preisgericht bei dem Ideenwettbewerb aus 14 Wettbewerbsbeiträgen vier sehr unterschiedliche Entwürfe ausgewählt. Sie sollen öffentlich diskutiert und überarbeitet werden, ehe Ende November ein Wettbewerbssieger gekürt wird.
Am Montag sind die vier Entwürfe den Medien vorgestellt worden. Dabei kristallisierte sich heraus, dass wohl ein turmartiges Gebäude entstehen wird – „aber nicht mit 120 Meter Höhe“, sagte Mathias Düsterdick, Chef der Düsseldorfer Gerch-Group, die Grundstückseigentümerin ist. „Wir sind in der Frage offen, wir reißen uns aber nicht, ein Hochhaus bauen zu dürfen oder zu müssen“, fügte Düsterdick hinzu.
Hochhaus im Zentrum des Geländes wird abgelehnt
Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg und Vorsitzender der Jury, sprach von einer „hohen Verlockung“. Dabei gehe es weniger darum, den Standort am Autobahnkreuz oder das Tor nach Stuttgart zu markieren, vielmehr den Zugang zum neuen Stadtquartier auf dem ehemaligen IBM-Gelände und den Schwerpunkt des Quartiers. Zumal eine eigene Autobahnausfahrt für den Garden-Campus Vaihingen – so der Arbeitstitel – nicht genehmigungsfähig ist.
Viele Entwürfe sahen mindestens ein Hochhaus vor, die vier ausgewählten auch. Im Modell des Büros Astoc (Köln) sind dafür 18 Obergeschosse (etwa 54 Meter) vorgeschlagen. Das junge Büro Cobe (Berlin) konnte sich 25 Obergeschosse (etwa 75 Meter) im Zentrum vorstellen. Es musste sich von der Jury aber sagen lassen, dass dies der falsche Platz sei: weil es das Zentrum zustelle und die umgebenden Gebäude verschatte. Das Büro Kleihues+Kleihues (Berlin) operierte mit zwei bis zu 60 Meter hohen rechteckigen Türmen, quasi Hochhausscheiben, die markante Bereiche des Geländes anzeigen würden. Eines der Hochhäuser würde in der Nähe des 65 Meter hohen Mobilfunk-Sendemastes neben dem Eiermann-Campus platziert. Aus dem Entwurf des Büros Steidle (München) sticht eher eine langgezogene, 14 Meter hohe Stadtmauer heraus, die auf einer Seite den Lärm von der Autobahn 8 abfangen, innen aber Studentenwohnungen mit Blick auf den Campus bieten soll.
Büros für Forschungszwecke geplant
Man habe 14 tolle Entwürfe gesehen, sagte Düsterdick, aber über keinen gesagt, „dass ist in der Form schon der Richtige“. Auch für die die vier ausgewählten Modelle habe man „elementare Überarbeitungshinweise“ gegeben. Der Investor, der Jury-Chef und Städtebaubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) entnahmen dem Wettbewerb das Signal, dass es für ein lebendiges Quartier eine bestimmte Wohnungsdichte brauche. Die Büros hätten meist zwischen 1000 und 1800 Wohneinheiten vorgesehen. Dagegen hatte die Stadt bei ihrem Grundsatzbeschluss über die städtebaulichen Absichten im Jahr 2013 etwa 500 Wohnungen vor allem für Studenten anvisiert. Investor Düsterdick würde von den Nutzflächen am liebsten 75 Prozent fürs Wohnen vorsehen.
Was die Gewerbeflächen angeht, hätten die meisten Büros angesichts der Nähe der Universität Stuttgart an Forschungszwecke gedacht, hieß es. Für die Kulturdenkmale seien bevorzugt Dienstleistungen und öffentliche Einrichtungen ins Spiel gekommen. Auf dem Areal gebraucht werden mindestens eine Kindertagesstätte und eine Schule, außerdem Läden für die Nahversorgung und ein Hotel, für das sich möglicherweise ein Hochhaus anbietet – denn für Büros und Wohnungen wäre ein Turm eine teure Lösung.
Nicht geschütztes Altgebäude hat wohl keine Zukunft
Nur zwei Büros planten noch mit dem nicht denkmalgeschützten Bestandsgebäude vom Reißbrett der Architekten Kammer und Belz. Die anderen Wettbewerbsteilnehmer würden dort lieber Platz für die Quartiersmitte schaffen – oder für Grün. Das Büro Steidle schlug sogar einen See vor.
Der Umgang mit Gelände und Gebäudebestand war sehr unterschiedlich. Die einen Büros würden Neubauten eher am Rand ansiedeln, die anderen mehr in der Mitte und damit die Waldränder schonen. Unter den vier ausgewählten Büros möchten Kleihues+Kleihues mit Neubauten am weitesten an die „Eiermänner“ heranrücken, hieß es. Die vorgeschlagenen Gebäudekomplexen hätten eigene geschützte Innenbereiche und wären flexibel für Büros oder Wohnungen nutzbar. Ihre Form lehne sich weniger an die Gestalt der Eiermann-Bauten an. Das Büro Astoc dagegen habe die Grundform der Eiermänner aufgenommen und die neuen Gebäude an der Peripherie verteilt.
Von einem Wiener Büro kam der vielleicht kontroverseste Vorschlag: ein Aufbau für die Eiermann-Gebäude, die damit auf 19 Obergeschosse erhöht würden. Das wurde als Anregung für die Debatte begrüßt, die Realisierung aber gleich verworfen, hieß es.
Kuhn fordert Mehrwert für Vaihingen
Die Aufgabe in Vaihingen ist nach den Worten von Jurychef Müller für den Investor und für die Wettbewerbsteilnehmer „ziemlich ambitioniert“. Zum einen sollen sie neue Nutzungen für die seit Jahren leerstehenden Eiermann-Gebäude beibringen, diese mit Neubauten arrangieren, damit die Denkmalerhaltung finanzierbar ist, und zum anderen eine „Stadt der Zukunft“ konzipieren. Die Frage des Umgangs mit dem denkmalgeschützten Bestand aus den 1970er Jahren sei im Übrigen kein Sonderfall, sondern auch andernorts eine Aufgabenstellung. Der Investor müsse mit dem städtebaulichen Konzept auch noch Geld verdienen können. Aus Müllers Sicht geht es bei der Entwicklung des ehemaligen IBM-Campus’ nicht um ein isoliertes, elitäres Bauprojekt, sondern um ein neues Stück Stuttgart, das nach den Worten von OB Fritz Kuhn (Grüne) dem Stadtteil Vaihingen einen „Mehrwert“ bringen soll.
Verkehrserschließung ungeklärt
In mancher Hinsicht habe der Wettbewerb keine Klärung gebracht, auch nicht bringen können, hieß es bei der Pressekonferenz. Das gilt beispielsweise für die Verkehrserschließung. Manche Büros hatten die Idee der Grünen mit einer Seilbahnverbindung zum Bahnhof Vaihingen aufgenommen, was Düsterdick „gigantisch“ findet, weshalb er sich in Kooperation mit der vor allem geforderten Stadt auch nicht „vor einem Beitrag zur Realisierung scheuen würde“. Im Grundsatz setzt die Gerch-Group auf eine kombiniertes Modell der Verkehrserschließung mit Shuttlebussen, Radwegen, Elektrofahrrädern und Seilbahn, wodurch nicht alle Beschäftigten täglich mit dem eigenen Wagen kämen.
Der Investor und die Stadt Stuttgart wählten neuen Ansätze zur Bürgerbeteiligung bei dem Ideenwettbewerb. An der Jurysitzung nahmen neben OB Kuhn, Baubürgermeister Pätzold und Stadträten auch von der Stadt benannte Bürgervertreter aus Vaihingen teil, allerdings nicht unbedingt mit Stimmrecht.
Das weitere Vorgehen
Die vier ausgewählten Entwürfe werden bei einer öffentlichen Veranstaltung am Samstag, 24. September, um 14 Uhr auf dem Eiermann-Campus vom jeweiligen Architekturbüro erläutert. Die Anregungen sollen ins weitere Wettbewerbsverfahren einfließen.
Der Umwelt- und Technikausschuss des Gemeinderats berät am Dienstag, 27. 9. (8.30 Uhr im Rathaus), darüber, der Bezirksbeirat am Abend des selben Tags (18 Uhr, Alte Kelter). Am 4. 10. diskutiert der Städtebauausschuss, am 11. 10. wieder der Technikausschuss.